
Afghanistan Freudentänze und neue Hürden
Stand: 29.02.2020 15:12 Uhr
Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban lässt die Afghanen auf ein Leben in Frieden hoffen. Doch es ist nur ein erster Schritt. Denn jetzt müssen die Taliban und die Regierung in Kabul verhandeln.
Von Bernd Musch-Borowska, ARD-Studio Neu-Delhi
Bereits seit gestern Abend feiern die Einwohner in der ostafghanischen Provinz Nangarhar die Aussicht auf Frieden. Nach einer Woche ohne nennenswerte Anschläge und Kämpfe gab es Freudentänze auf den Straßen von Dschalalabad.
Die Vereinbarung von Doha werde endlich Frieden bringen, so Burhanuddin Sirat, ein Einwohner der Provinzhauptstadt: "Wir sind sehr glücklich und hoffen, dass das Töten jetzt ein Ende hat. Mütter werden nicht noch mehr Söhne verlieren und so Gott will, wird die Friedensvereinbarung von Doha für einen anhaltenden Frieden sorgen, damit wir Afghanen endlich ein gutes Leben führen können."
Die seit fast zwei Jahren ausgehandelte Vereinbarung von Doha sieht unter anderem den schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vor und die Verpflichtung der Taliban, sich vom internationalen Terrorismus loszusagen. Außerdem soll damit der Weg freigemacht werden für einen innerafghanischen Dialog über die Zukunft des Landes - unter Beteiligung der Taliban, deren Regime im Jahr 2001 durch den Einmarsch der USA und ihrer NATO-Verbündeten gestürzt worden war.
Langer Weg zum Frieden
Während in Doha die USA und die Taliban, im Beisein von US-Außenminister Mike Pompeo, die Vereinbarung unterzeichneten, waren NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Verteidigungsminister Mark Esper nach Kabul gereist, um der afghanischen Regierung die weitere Unterstützung zuzusichern.
Stoltenberg hatte noch vor seiner Abreise nach Kabul gesagt: "Bis zum Frieden ist es noch ein langer und schwieriger Weg. Es gibt noch viele Hürden und es wird Rückschläge geben. Aber wir wollen Frieden und das afghanische Volk will Frieden." Das Land werde weiter in der Ausbildung für die afghanischen Sicherheitskräfte und finanziell unterstützt. "Die Taliban müssen erkennen, dass sie niemals auf dem Schlachtfeld gewinnen werden. Sie müssen sich an den Verhandlungstisch setzen und Kompromisse machen", so Stoltenberg.
Taliban wollen mitreden
Die Taliban wirken aber wenig kompromissbereit. Sie fühlen sich offenbar als Sieger des knapp 19 Jahre dauernden Konflikts. Taliban-Sprecher Muhammad Suhail Shaheen sagte in einem Interview mit dem ARD-Fernsehen, man wolle künftig bei der Zukunft des Landes mitreden: "Wir haben 70 Prozent des Landes unter unserer Kontrolle. Dort regieren wir jetzt schon und sorgen für Sicherheit. Vor allem auf dem Land stellen wir den Menschen alles zur Verfügung, was sie brauchen. Unsere Gerichte sorgen für kurze Prozesse und bringen schnell Gerechtigkeit." Die Menschen kämen selbst aus den Städten zu den Taliban, da ihre Rechtsprechung transparent sei und es bei ihnen keine Korruption gebe.
Während die Taliban selbstbewusst und gestärkt in den bevorstehenden innerafghanischen Dialog gehen, ist die politische Führung Afghanistans zerstritten. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen wird angefochten und die Legitimität des bereits zum Wahlsieger ernannten Präsidenten Ashraf Ghani wird von den unterlegenen Kandidaten infrage gestellt. Das spiele den Taliban in die Hände, beklagt der Politologe Abdulah Khenjani vom Institut für eine demokratische Gesellschaft: "Das alles kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Wir hatten sehr schwierige Wahlen in Afghanistan, und zwei Bewerber beanspruchen den Sieg jeweils für sich. Diesen Streit werden die Taliban nutzen, um die politische Klasse in Kabul weiter zu schwächen." Er hoffe, dass die Politiker klug genug sind, dies zu erkennen, so Khenjani.
Wann der innerafghanische Dialog unter Beteiligung aller politischen Kräfte beginnen kann, steht noch nicht fest.
Hoffnung auf Frieden in Afghanistan
Bernd Musch-Borowska, ARD Neu-Delhi
29.02.2020 11:01 Uhr
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