
Krise in Belarus Proteste, Festnahmen und eine Flucht
Stand: 05.09.2020 18:02 Uhr
In Belarus sind bei Protesten erneut zahlreiche Menschen festgenommen worden. Tausende Frauen gingen gegen Machthaber Lukaschenko auf die Straßen. Die Oppositionspolitikerin Kowalkowa floh nach Polen.
Bei erneuten Protesten gegen den umstrittenen Staatschef Alexander Lukaschenko sind in der belarussischen Hauptstadt Minsk nach Angaben des Innenministeriums wieder mehr als 40 Demonstranten festgenommen worden. Nach Auskunft der Menschenrechtsorganisation Wesna waren die Protestaktionen spontan und friedlich. Die Sicherheitskräfte seien dagegen brutal gegen die Demonstranten vorgegangen.
Seit der Präsidentenwahl am 9. August kommt es jeden Tag zu Protesten gegen Lukaschenko. Dieser hatte sich mit 80 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger erklären lassen. International wird das Ergebnis aber angezweifelt. Die Demonstranten sehen die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja als Gewinnerin der Wahl.
Maskierte pferchen Studenten in Kleinbusse
In den vergangenen Tagen schlossen sich vor allem Studenten den Protesten an, nachdem am 1. September das neue Studienjahr begonnen hatte. Sie zogen durch die Straßen, stellten Streikposten an Hochschulen auf, sangen und forderten die Freilassung von politischen Gefangenen. Auf Aufnahmen des Medienunternehmens TUT.BY war zu sehen, wie maskierte Sicherheitskräfte viele der jungen Menschen in der Minsker Innenstadt von der Straße drängten und in Kleinbusse pferchten. Das Bildungsministerium kündigte an, die Kontrollen an den Universitäten zu verstärken.
Tausende Frauen ziehen durch Minsk
Später am Nachmittag liefen in einer separaten Kundgebung Tausende Frauen durch Minsk und demonstrierten gegen Lukaschenko. Sie schwenkten weiß-rot-weiße Fahnen, wie auf Bildern in sozialen Netzwerken zu sehen war. Berichten zufolge waren mindestens 5000 Frauen unterwegs. Viele trugen Blumen bei sich und bildeten Menschenketten. Auch in anderen Städten der Ex-Sowjetrepublik protestierten viele Frauen.
Indes reiste die prominente belarussische Oppositionelle und Vertraute von Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja, Olga Kowalkowa, nach Polen aus. Vor Journalisten in Warschau sagte sie, sie sei mit einem Auto des belarussischen Geheimdienstes KGB vom Gefängnis zur polnischen Grenze gebracht worden. Sie habe in dem Auto am Boden liegen müssen und sei am Grenzübergang Kuznica Bialostocka freigelassen worden. Dort habe sie ein polnischer Busfahrer mitgenommen. Kowalkowa sagte weiter, alles was ihr in den vergangenen Tagen und Wochen passiert sei, betrachte sie "als Folter". Ihr sei immer wieder eine "lange Haft" angedroht worden. Kowalkowa war im August festgenommen und vor wenigen Tagen freigelassen worden.
UN-Sicherheitsrat berät über Situation in Belarus
tagesschau 17:00 Uhr, 04.09.2020
Tichanowskaja fordert UN-Überwachungsmission
Tichanowskaja hatte die Vereinten Nationen am Freitag aufgefordert, eine internationale Überwachungsmission nach Belarus zu entsenden, um die Polizeigewalt gegen überwiegend friedliche Demonstranten zu dokumentieren. In einer Online-Sitzung des Sicherheitsrates schlug die 37-Jährige zudem ein außerordentliches Treffen des UN-Menschenrechtsrates vor, um die Situation in Belarus zu erörtern. Die internationale Gemeinschaft solle alle Mechanismen inklusive Sanktionen einsetzen, um die Gewalt zu stoppen.
"Ich möchte sehr deutlich machen: Eine Zusammenarbeit mit dem Regime von Herrn Lukaschenko im Moment bedeutet die Unterstützung von Gewalt und eklatanten Verletzungen von Menschenrechten."
Lukaschenko klammere sich verzweifelt an die Macht und weigere sich, auf sein Volk zu hören. Doch, so Tichanowskaja: "Eine Nation kann und sollte keine Geisel des Machthungers eines Mannes sein - und das wird es auch nicht. Die Belarussen sind aufgewacht. Die Situation sei unumkehrbar. Die autoritäre Führung in Minsk sei "moralisch bankrott, rechtlich fragwürdig und aus Sicht unserer Nation einfach untragbar".
Koordinierungsrat bereit zu Gesprächen mit Moskau
Für einen friedlichen Machtübergang wurde in Belarus ein Koordinierungsrat mit Vertretern der Zivilgesellschaft gegründet. Ein Mitglied des Rats, Pawel Latuschko, bot nun direkte Gespräche mit Russland an: "Ich bin bereit, nach Moskau zu gehen, um mich mit russischen Politikern zu treffen, um sie mit Informationen zu versorgen."
Der Koordinierungsrat habe gehofft, dass Moskau eine neutrale Position einnehmen und die Meinung der belarussischen Öffentlichkeit anhören werde. Doch sei dies bisher nicht geschehen. "Russland unterhält nur Kontakt zu den derzeitigen Behörden", sagte Latuschko der Agentur BNS zufolge in Vilnius. Um Informationen aus erster Hand über die Entwicklungen in Belarus zu liefern, war Latuschko nach Litauen und zuvor nach Polen gereist.
Die beiden Nachbarländer oder die EU könnten als Vermittler agieren, sollten die belarussische Zivilgesellschaft und die autoritär regierende Staatsführung von Lukaschenko einen Dialog aufnehmen, so Latuschko. Er betonte aber auch, dass die politische Krise in Belarus in erster Linie eine interne Angelegenheit des Landes sei.
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