
Präsidentenwahl in Belarus Der angespannte Autokrat
Stand: 09.08.2020 04:28 Uhr
6,7 Millionen Belarussen sind zur Präsidentschaftswahl aufgerufen. Für Lukaschenko geht es dabei um eine sechste Amtszeit. Der Angriffsmodus, in den er zuletzt schaltete, verrät seine Anspannung.
Von Martha Wilczynski, ARD-Studio Moskau
Alexander Lukaschenko gibt sich gerne als jemand, dem nichts wehtut - nicht einmal der Titel "letzter Diktator Europas". "Unsere Diktatur unterscheidet sich dadurch, dass alle am Wochenende frei haben, aber der Präsident arbeitet", scherzte er bei einem Treffen mit US-Außenminister Mike Pompeo. Das war Anfang des Jahres, lange bevor die Menschen in Belarus zu Tausenden auf die Straße gingen und sich in kilometerlange Schlangen stellten, um Kandidaten der Opposition zu unterstützen.
Präsidentenwahl in Belarus
tagesschau 14:00 Uhr, 09.08.2020
Einerseits gab sich Lukaschenko auch hier gelassen: "Dass sie sich im Kampf um die Gunst der Wähler ausschließlich populistischer Parolen und leerer Versprechen bedienen, werden die Menschen schon selbst herausfinden." Andererseits reagierte die Staatsmacht sehr früh mit bemerkenswerter Härte.
"Kampf gegen das Böse"
Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation "Wjasna" seien im Rahmen des Wahlkampfes mehr als 1300 Personen willkürlich festgenommen worden. 25 gelten als politische Gefangene. Von den potentiellen, alternativen Kandidaten ist nur eine übrig geblieben, alle anderen sind entweder in Haft oder im Exil.
In der Logik des Präsidenten seien das aber keine politischen Repressionen, sondern ein Kampf gegen das Böse, erklärt der belarussische Politologe Valerij Karbalewitsch: "Belarus hat keinen Grund für Unzufriedenheit, denn er hat ja alles richtig gemacht - er hat einen Staat des absolut Guten aufgebaut." Dass ein Teil der Gesellschaft unzufrieden sei, nähme Lukaschenko gar nicht wahr. So etwas könne es für ihn einfach nicht geben. "Deswegen sind alle, die gegen ihn sind, böse Menschen mit bösen Absichten. Sie sind Agenten ausländischer Kräfte, die Belarus spalten wollen", sagt Karbalewitsch.
Steht der Sieger fest?
Scherze machte Lukaschenko zuletzt eher selten. Stattdessen teilte er aus - gegen Halunken und Kriminelle, die das Land in den Abgrund stürzen wollen. Gegen die "armen Frauen", die manipuliert worden seien, und gegen die Verblendeten, die sie nun unterstützen. Und er warnte - immer wieder: "Alle Kriege beginnen heutzutage mit Straßenprotesten, Demonstrationen. Dann kommen Maidane." Und einen Maidan - also eine Revolution wie in der Ukraine - werde er zu verhindern wissen, koste es, was es wolle.
Dass er solche Botschaften vor allem auch an seinen Sicherheitsapparat richtet, deutet Karbalewitsch als Zeichen, dass Lukaschenko sich auch dessen Unterstützung nicht mehr sicher sei. Dass aber Polizei, Militär und Geheimdienst diejenigen seien, deren Loyalität er brauche, nicht die der Bürger. "Lukaschenko hat heute keine Mehrheit mehr. Und bei ehrlichen Wahlen würde er nicht siegen", sagt der Politologe.
Experten wie Bürger gehen davon aus, dass sich Lukaschenko trotz allem zum Sieger erklären wird. Und auch er selbst antwortete jüngst auf die Frage, wer denn die Wahl gewinnen werde: "Das kann ich natürlich sagen, aber wozu?"
Belarus Präsident Lukaschenko: Ein "Diktator" unter Druck
Martha Wilczynski, ARD Moskau
08.08.2020 13:35 Uhr
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