
Corona Kirmes in Anderthalb-Meter-Zeiten
Stand: 22.04.2020 15:14 Uhr
Volksfeste sind kein Ort für Distanz - deswegen werden sie reihenweise abgesagt. In den Niederlanden haben Schausteller ein Testgelände aufgebaut um zu schauen, ob die Kirmes gerettet werden kann.
Von Ludger Kazmierczak, ARD-Studio Den Haag
Sie sieht aus wie eine etwas zu lang geratene Wasserwaage. Doch was Albert Ordelman da in der Hand hält, ist eine exakt anderthalb Meter lange Messlatte. Der Schausteller inspiziert damit seinen Freefalltower, eine Kirmes-Attraktion, mit der Ordelman durch die ganze Welt reist.
Daheim am Küchentisch habe er gedacht, erzählt er, "dass es bei diesem Fahrgeschäft genügt, einen Platz zu überspringen. Dann könnte man immerhin die Hälfte der Sitze nutzen, nämlich sechs. Aber jetzt halte ich die Messlatte davor und sehe, dass wir zwei Plätze freilassen müssen. Dann kann ich nur noch vier Personen mitnehmen. Die Kosten kriege ich niemals wieder rein - bei so geringer Kapazität."
Wieviel Abstand ist nötig und möglich?
Auf einer großen Wiese in Apeldoorn haben Ordelman und seine Kollegen rund 30 Fahrgeschäfte aufgebaut - vom Autoscooter und der Geisterbahn über den Breakdancer bis hin zum Riesenrad. Die Schausteller wollen testen, ob ein Kirmesbetrieb selbst in Anderthalb-Meter-Zeiten nicht doch möglich ist. Denn ein ganzes Jahr ohne Einnahmen wäre für Hollands Kirmes-Betreiber eine Katastrophe, sagt Ordelman:
"Das Wasser steht uns bis zum Hals. Ich kenne Kollegen, die nicht mal mehr einkaufen können, weil überhaupt kein Geld mehr reinkommt. Und wenn das bis Ende des Jahres so weitergeht, bedeutet dies das Ende der niederländischen Schausteller-Unternehmen."
Kinderkarusell ist unproblematisch
Der Rundgang über das Kirmes-Testgelände ist ernüchternd. Am Kinderkarussell lässt sich die Abstandsregel noch prima einhalten, aber gerade bei den größeren Fahrgeschäften sitzen die Besucher oft dicht gedrängt neben- oder hintereinander. Mal eben Plexiglaswände zu montieren sei nicht möglich, so Ordelman, denn jede bauliche Veränderung müsse von den Behörden abgenommen und genehmigt werden.
Und nicht nur die Attraktionen bereiten den Schaustellern Kopfzerbrechen. Bei Veranstaltungen wie der Kirmes in Tilburg kämen an manchen Tagen bis zu 200.000 Leute. "Solche Besucherströme kann ich doch gar nicht lenken. Wer trägt dafür die Verantwortung? Muss ich das tun? Ich weiß es nicht."
Naschwerk auf kleinen Volksfesten
Während Ordelman mit großen, spektakulären Attraktionen unterwegs ist, zieht Chris Spelbrink mit einer Süßwarenbude und kleineren Fahrgeschäften durchs Land. Auch für ihn hätte die Kirmessaison Ende März beginnen sollen, aber nun sind alle Großveranstaltungen bis zum 1. September verboten.
Doch eine Kirmes in bescheidenem Rahmen kann sich Spelbrink durchaus vorstellen. "Angenommen, wir könnten noch eine kleine Kirmes aufbauen, dann sehe ich da einen Zaun ums ganze Gelände mit einem Eingang und Security-Personal, mit Hygienesäulen, so wie das auch schon bei den Vorsichtsmaßnahmen auf den Märkten und im Straßenhandel gemacht wird."
Ganz aufgeben wollen die Schausteller ihre Hoffnung also nicht. Zwei Wochen lang testen sie in Apeldoorn, was geht und was nicht. Doch ob es irgendwann in diesem Jahr noch mal heißt "Einsteigen, dabei sein" ist mehr als fraglich.
Test-Kirmes im niederländischen Appeldoorn
Ludger Kazmierczak, ARD Den Haag
22.04.2020 14:14 Uhr
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