
Coronavirus in Italien Auf Abstand
Stand: 09.03.2020 01:05 Uhr
Italiens Regierung versucht mit drastischen Mitteln gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorzugehen. Doch trotz ausgeweiteter Sperrzonen setzt sie vor allem auf die Eigenverantwortung der Menschen.
Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom
Dass ganz Italien sich verändert, merkt auch Laura aus Dresden. Als Touristin ist sie auf Kurzbesuch in Rom. Am Samstag hat sie noch das Kolosseum besichtigt, einen Tag später, erzählt sie am Nachmittag auf dem Petersplatz, ging nichts mehr. In ganz Italien bleiben auf Anweisung der Regierung nun Museen, Theater, Kinos und Sportclubs geschlossen, öffentliche Veranstaltungen sind untersagt.
Und die dringende Empfehlung der Behörden, zu anderen Menschen Abstand zu halten - beobachtet Laura - ist im italienischen Alltag angekommen. Sie habe es bei einem Polizisten gesehen, der Menschen, die zu ihm gekommen sind, gestoppt habe. "Und immer wenn sie näher gekommen sind, ist er rückwärts gelaufen", so Laura.
Mehrere Regionen in Italien bleiben wegen des Coronavirus abgeriegelt
tagesschau 09:00 Uhr, 09.03.2020
Strafen vorgesehen
Abstand halten - ist seit gestern auch das per Regierungsdekret verordnete Zauberwort in den Restaurants und Bars im ganzen Land. Ministerpräsident Giuseppe Conte persönlich legte den Verhaltenskodex dar, der Teil des Dekrets ist und für Italiens Gastronomie nun landesweit gilt: "Der Betrieb von Restaurants und Bars ist erlaubt, aber mit der Verpflichtung der Betreiber, zwischen den Menschen einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter zu gewährleisten. Im Fall eines Verstoßes sind Strafen bis hin zu einer Aussetzung des Betriebs vorgesehen."
In der Nähe des Petersplatzes betreibt Marco eine Enoteca. Auch in Zeiten ausbleibender Touristen hält er seinen Laden geöffnet. Zu den von der Regierung vorgegebenen Regeln sagt er: "Es ist nicht einfach, die Kundschaft in einem Lokal im Verlaufe des Abends immer auf die vorgeschriebene Distanz zu halten. Denn wie sich die Menschen miteinander verhalten, ist nicht immer einfach zu verstehen." Trotzdem hat Marco derzeit keine Schwierigkeiten die neuen Distanzregeln durchzusetzen - am frühen Abend ist sein Restaurant menschenleer.
Noch drastischer hat sich das Leben 600 Kilometer nördlich verändert, in Mailand. Die Millionenmetropole in der Lombardei ist die größte Stadt in der seit gestern geltenden Sperrzone, die in den italienischen Medien "zona arancione" ("orangene Zone") genannt wird. Laut Regierungsdekret dürfen die Menschen sich aus diesem Gebiet nur aus "schwerwiegenden und unaufschiebbaren Gründen" herausbewegen beziehungsweise dort hineinfahren.
Im Unterschied zu einer "roten Zone" aber wird hier weniger rigoros kontrolliert. Posten an allen Ausfahrtsstraßen sind aufgrund der Größe des Gebiets, das weite Teile Norditaliens umfasst, schwer möglich. Bei Stichproben aber kann die Polizei auf der Grundlage des neuen Dekrets jetzt die Menschen nach dem Grund ihrer Reise fragen und sie gegebenenfalls anweisen, nach Hause zurückzukehren.
"Das anständige Verhalten aller ist entscheidend"
Im Laufe des Tages wurde deutlich, dass der mit großer Geste angekündigte Regierungsbeschluss besonders darauf setzt, die Eigenverantwortung der Menschen zu stimulieren, sie dazu zu bringen, Kontakt zu anderen auf ein Minimum zu reduzieren. Auch Gesundheitsminister Roberto Speranza betonte: "Wir gehen hier eine Krise, die beispiellos ist. Wir können das schaffen, aber nur wenn die Menschen ihren Beitrag leisten. Das anständige Verhalten aller ist entscheidend", sagt er,
Mit Kopfschütteln wurde auch in den italienischen Medien verfolgt, dass noch in der Nacht, als das neue Dekret unterzeichnet wurde, Hunderte Menschen per Bahn und Bus aus Mailand geradezu flüchteten, um den befürchteten Absperrungen Richtung Süditalien zu entkommen.
Dass Italien in der Bekämpfung der Krise noch weit von einer Trendwende entfernt ist, zeigten die neuen, gestern Abend vorgestellten Infektionszahlen. Mittlerweile gibt es über 7300 Coronavirus-Fälle im Land, ein Zuwachs von fast 1500 innerhalb von 24 Stunden. Noch dramatischer ist der Anstieg bei den Todesfällen. Die Zahl der Verstorbenen, die mit dem Coronavirus infiziert waren, erhöhte sich um mehr als die Hälfte auf 366. Mehr Corona-Infektionen und -Todesfälle als in Italien gibt es nur noch in China.
Stimmung in Italien nach drastischem Anti-Corona-Dekret
Jörg Seisselberg, ARD Rom
09.03.2020 06:47 Uhr
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