
Coronavirus in China Keine Reisen ohne Gesundheits-Apps
Stand: 07.05.2020 07:53 Uhr
Pekinger dürfen wieder reisen - wenn Gesundheits-Apps keine Corona-Infektion nachweisen. Kritiker fürchten die Einführung einer flächendeckenden Kontrolle durch Chinas Staats- und Parteiführung durch die Hintertür.
Von Axel Dorloff, ARD-Studio Peking
Fast zwei Monate hat er seine Eltern nicht besucht - obwohl die Zugfahrt nur 30 Minuten dauert: Liu Fang arbeitet in Peking, seine Eltern wohnen in der Nachbarstadt Tianjin, südlich von Peking. Zum ersten Mal nach der Lockerung der Reisebeschränkungen innerhalb Chinas fährt Liu zu seinen Eltern.
Auch Pekinger dürfen jetzt wieder reisen, ohne nach ihrer Rückkehr in Quarantäne zu müssen. Liu sitzt in der riesigen Wartehalle im Pekinger Südbahnhof. "Die Lockerung für den Großraum Peking-Tianjin-Hebei hat gerade erst begonnen. Die Provinzen erkennen jetzt untereinander die Gesundheits-QR-Codes an. Der Alltag der Menschen ist hier eng miteinander verbunden", erzählt er. Viele arbeiteten in einer der Nachbarprovinzen oder besuchten sich häufig. "Die Lockerung von Jing-Jin-Ji ist für uns alle sehr gut", so Liu.
Scans der App in vielen Alltagssituationen
Jing-Jin-Ji - so heißt das Mega-Projekt, das den Großraum Peking-Hebei-Tianjin mit seinen rund 120 Millionen Menschen wirtschaftlich und infrastrukturell zusammenwachsen lassen soll. Während der Corona-Krise war aber nicht mal das Pendeln möglich. Und jetzt müssen Gesundheitscodes auf Grün springen, wenn man reisen möchte.
Auch Liu Jun sitzt abends im Hochgeschwindigkeitszug nach Tianjin. Er arbeitet für eine deutsche Pharmafirma, wohnt in Tianjin und hat seine erste Dienstreise nach Peking hinter sich. Zuvor war dies wochenlang nicht möglich gewesen, Liu Jun musste im Homeoffice arbeiten. "Die digitale Überprüfung in Tianjin und Peking ist fast gleich. Am Eingang unserer Firma müssen wir uns anmelden und den Gesundheits-QR-Code der Pekinger Stadtregierung scannen. Die Politik für Prävention und Kontrolle ist relativ streng."
Der Gesundheits-Code der Pekinger Stadtregierung wurde in das soziale Netzwerk WeChat und auch in die App von Bezahldienstanbieter Alibaba integriert. Nicht die einzige Anwendung, die im chinesischen Alltag derzeit nötig ist: Auch der Staatsrat - die zentrale Volksregierung - hat eine eigene App entwickeln lassen, die in vielen Alltagssituationen gescannt werden muss. Sie erstellt ein individuelles Bewegungsprofil, auf das die Polizei zugreifen kann.
Sorge vor Kontrolle und Sanktionen
Für den Kritiker Murong Xuecun, der eigentlich Hao Qun heißt und als Autor unter Pseudonym schreibt, nutzt China die aktuelle Post-Corona-Situation, um Tracing-Apps im Namen der Pandemie-Bekämpfung flächendeckend einzusetzen. "Regierung und Partei versuchen immer ihr Bestes, um den zivilen Freiraum der Bürger zu verringern und mehr Macht und Ressourcen zu bekommen. Das funktioniert auch mithilfe der Gesundheitscodes. In Zukunft werden sie vermutlich in Chinas Sozialpunkte-System eingeordnet." Mit diesem Punktesystem könne die Regierung anhand persönlicher Informationen umfänglich kontrollieren und sanktionieren.
Wer aus Peking in Tianjin ankommt und als Besucher ein Hotel beziehen möchte, muss wieder neue Apps scannen, die nur für Tianjin gelten. Ob Shopping, Restaurantbesuch oder der Zutritt zum Arbeitsplatz: Im Alltag in China geht derzeit nichts mehr ohne das stetige Scannen der QR-Codes unterschiedlicher Tracing-Apps.
Nachbarschaft reloaded: aber nichts geht in China ohne Gesundheits-App
Axel Dorloff, ARD Peking
07.05.2020 07:12 Uhr
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