
Sonderermittler in Köln Gegen den Hass im Netz - jeden Tag
Stand: 15.08.2019 04:32 Uhr
In Köln kümmern sich Sonderermittler ausschließlich um Hass-Kommentare im Internet. Die Täter, so ihre Erfahrung, kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Viele seien sich keiner Schuld bewusst.
Von Rupert Wiederwald, WDR
Eine Videomontage, die bei Facebook auftauchte: Auf dem Bildschirm des Telefons ist Adolf Hitler zu sehen. Bei Anrufen erklingt das Horst-Wessel-Lied, die Hymne der NSDAP. Gepostet wurde das von einem älteren Mann - unter seinem richtigen Namen. "Das war für mich die größte Überraschung", sagt Staatsanwalt Christoph Hebbecker. "Ganz viele eindeutig strafbare Kommentare sind nicht anonym, sondern werden mit Klarnamen gepostet."
Das mache für ihn die Arbeit leicht. Solche Täter vor Gericht zu bringen, sei nicht das Problem. Dort treffe er dann meist auf zwei unterschiedliche Täter-Typen, so Hebbecker. "Die einen glauben, im Internet dürfen sie alles sagen - da ist überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Die anderen glauben einfach, dass wir sie niemals erwischen, und sind ganz überrascht, wenn auf einmal die Polizei vor der Tür steht."
Rechtlich betrachtet sei es egal, ob eine Beleidigung, Volksverhetzung oder Bedrohung online oder offline passiert, sagt Hebbecker. "Für mich macht es keinen Unterschied ob jemand mit der Hakenkreuzflagge über den Marktplatz läuft oder ob er ein Hakenkreuz ins Internet stellt - beides ist verboten." Praktisch aber habe die Justiz zu lange den Eindruck erweckt, das Thema zu ignorieren. Jetzt gebe es langsam eine Kehrtwende, so Hebbecker.
Netzwerke nicht zur Anzeige verpflichtet
Gemeinsam mit einer Kollegin kümmert sich Hebbecker seit 2018 ausschließlich um Hass-Kommentare im Internet. Die beiden gehören zu den 17 Staatsanwälten der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in Köln - kurz ZAC. Bei Hebbecker kommen all die Fälle an, die von Medien in Nordrhein-Westfalen zur Anzeige gebracht werden, also auch vom WDR. Seit 2018 waren das etwa 430, in durchschnittlich der Hälfte der Fälle wurde auch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. "Uns ist bewusst, dass wir nur einen sehr kleinen Ausschnitt der eigentlich problematischen Kommentare überhaupt zu sehen bekommen," sagt Hebbecker.
Cybercrime: Staatsanwälte ermitteln gegen Hass und Hetze im Netz
tagesschau24 11:00 Uhr, 15.08.2019, Rupert Wiederwald, WDR
Das liege auch daran, dass die sozialen Netzwerke wie Facebook, Google oder Twitter seit 2018 zwar verpflichtet sind, strafbare Inhalte zu löschen, sie aber nicht zur Anzeige bringen müssen. Und das auch nicht tun. Deshalb erreichen die Staatsanwälte in Köln nur die von Medienunternehmen zur Anzeige gebrachte Kommentare sowie die, die trotz Aufforderung der sozialen Netzwerke nicht gelöscht wurden und dann vom Bundesamt der Justiz der ZAC gemeldet werden. Knapp 220 Anzeigen waren das seit 2018.
Strafverfolgung im digitalen Zeitalter ist immer noch recht bürokratisch und komplex. Immerhin sind die Anzeigen schon digital. "Wir sind da auch eine Art Vorreiter, probieren aus, was funktioniert und was nicht", erzählt Oberstaatsanwalt Markus Hartmann. Er hat die ZAC quasi erfunden, startete 2014 erst mit vier Mitarbeitern. Zum Ende des Jahres sollen 21 Staatsanwälte in Köln Cyber-Fälle ermitteln.
"Noch viel Luft nach oben"
Die größten Schwierigkeiten haben Hebbecker und seine Kollegen, wenn die Täter sich hinter Pseudonymen verstecken. Dann sind die Staatsanwälte auf die Zusammenarbeit der sozialen Netzwerke angewiesen. Doch das sei nicht immer einfach: Manchmal bekomme man einen Namen, manchmal aber auch nicht. Was die ZAC-Staatsanwälte überhaupt nicht nachvollziehen können ist, dass die Internetkonzerne von alleine gar nicht tätig werden. Da sei die Zusammenarbeit noch "defizitär", wie Oberstaatsanwalt Hartmann es nennt.
Ein Vorwurf, den zum Beispiel Facebook so nicht stehen lassen will. Der Konzern verweist darauf, dass seine Mitarbeiter allein im ersten Quartal dieses Jahres 160.000 Inhalte in Deutschland gelöscht hätten. Darüber hinaus noch Anzeige zu stellen, sei zu viel verlangt, sagt Facebook-Sprecherin Anne Laumen. Dies würde zahlreiche rechtliche, politische sowie gesellschaftliche Fragen aufwerfen. "Ist es wirklich gewünscht, dass ein Privatunternehmen seine Nutzer reihenweise für Inhalte anzeigt, bei denen nicht einmal sicher ist, dass sie strafbar sind?"
Viele Hass-Kommentare werden inzwischen auf Plattformen gepostet, die sich dem Zugriff deutscher Behörden völlig entziehen - etwa im VK-Netzwerk, einer russischen Facebook-Variante. Für Staatsanwalt Hebbecker und seine Kollegen bei der ZAC ein weiteres Zeichen, dass sie mit ihrer Arbeit ganz am Anfang stehen: "Da ist noch viel Luft nach oben."
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