
Sicherheitsgesetz für Hongkong Das Ende von "Ein Land, zwei Systeme"?
Stand: 22.05.2020 11:06 Uhr
Das von Peking geplante Sicherheitsgesetz für Hongkong schlägt hohe Wellen: Die Opposition ist entsetzt und kündigt Proteste an. Auch die Wirtschaft in der Sonderverwaltungszone fürchtet um ihr Bestehen.
Von Steffen Wurzel, ARD-Studio Shanghai, zzt. Peking
Chinas Regierungschef Li Keqiang widmete dem geplanten Nationalen Sicherheitsgesetz für Hongkong nur wenige Sekunden seiner mehr als einstündigen Volkskongress-Rede. Doch entscheidend war nicht die Länge der Aussage, sondern der Inhalt.
Man werde für die beiden Sonderverwaltungsregionen Hongkong und Macau solide Rechtsvorschriften auf den Weg bringen, um die nationale Sicherheit in den beiden autonom regierten Regionen aufrecht zu erhalten, sagte Li.
In der früheren portugiesischen Kolonie Macau gibt es bereits ein entsprechendes Gesetz. Die Initiative der chinesischen Staatsführung zielt also ganz klar auf das deutlich größere Hongkong. Die ehemalige britische Kolonie wird seit der Übergabe an China Mitte 1997 autonom regiert, nach dem völkerrechtlichen Prinzip "Ein Land, zwei Systeme".
China will Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschieden
tagesschau 20:00 Uhr, 22.05.2020, Tamara Anthony, ARD Peking
Peking macht seinen Durchgriffswillen klar
Die pro-festlandchinesische Regierung Hongkongs versuchte bereits Anfang der 2000er-Jahre, ein Gesetz zur Nationalen Sicherheit durchzusetzen. Sie scheiterte jedoch am entschiedenen Widerstand der Opposition und der Zivilgesellschaft. Das Parlament der Stadt stoppte die Pläne schließlich.
Dass die Zentralregierung in Peking nun durchgreift und Hongkong das entsprechende Gesetz quasi von oben aufdrückt, ist ein starkes Zeichen. Die kommunistische Führung macht damit klar, dass sie künftig schärfer und direkter in Hongkong durchgreifen will.
Dass der seit heute tagende chinesische Volkskongress das Vorhaben in den nächsten Tagen offiziell beschließen wird, steht fest. Chinas Scheinparlament hat in den vergangenen Jahrzehnten noch nie ein Vorhaben der Staatsführung abgelehnt.
Einzelheiten zum geplanten Gesetz gibt es noch nicht. Es soll sich aber gegen Subversion, Verrat und Aufwiegelung richten, außerdem gegen alle, die für eine Abspaltung Hongkongs von China werben. Konkret bedeutet das, dass alle pro-demokratischen Aktivitäten in der chinesischen Sonderverwaltungsregion deutlich härter als bisher bestraft werden können und dadurch schwieriger werden.
"Der traurigste Tag in der Geschichte Hongkongs"
Hongkongs Opposition ist entsprechend entsetzt. Sie warnt vor Willkür der Behörden gegenüber Andersdenkenden und einem weiteren Aushöhlen der Rechtsstaatlichkeit.
"Das ist heute der traurigste Tag in der Geschichte Hongkongs", sagte die pro-demokratische Parlamentsabgeordnete Tanya Chan bereits gestern Abend, als erste Berichte über das Sicherheitsgesetz bekannt wurden. "Das Vorhaben bestätigt, dass wir bei 'Ein Land, ein System' angekommen sind. Ganz klar ein riesiger Rückschlag. 2020 ist das Jahr, in dem sich Chinas Zentralregierung in jeglicher Hinsicht in die Angelegenheiten Hongkongs einmischt."
Abgeordneter ringt um Fassung
"Der internationalen Staatengemeinschaft möchte ich sagen: Das ist das Ende von Hongkong, das Ende von 'Ein Land, zwei Systeme'", sagte der sichtlich um Fassung ringende Parlamentsabgeordnete Dennis Kwok. "Die Zentralregierung in Peking hat ihr Versprechen an die Menschen in Hongkong vollständig gebrochen. Das Versprechen, das in der chinesisch-britischen Vereinbarung und im Grundgesetz unserer Stadt verankert ist. Das war's dann. Der Status von Hongkong als internationale Stadt wird sehr bald verschwunden sein."
Der von Chinas Staatsführung de facto eingesetzte Vorsitzende des Hongkonger Parlaments, Andrew Leung, äußerte sich schriftlich zum Vorhaben der Pekinger Zentralregierung: Er respektiere, verstehe und unterstütze die Initiative.
Schockwelle geht durch die Wirtschaft
In Hongkongs Wirtschaft hingegen löste das geplante Gesetz zur Nationalen Sicherheit eine Art Schockwelle aus, abzulesen an der Börse. Der Hang-Seng-Index sackte um mehr als fünf Prozent ab. Der Leiter der Deutschen Handelskammer in Hongkong, Wolfgang Niedermark, sagte, das Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' sei die Grundlage für den Erfolg des Standorts - jeder Schritt, der es untergrabe, gehe zu Lasten der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anziehungskraft Hongkongs.
"Die Ankündigung aus Peking, nun auf diese Art und Weise ein Sicherheitsgesetz für Hongkong auf den Weg zu bringen, ist natürlich eine besonders schwerwiegende in einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die uns hier in letzter Zeit Sorgen bereiten", sagte Niedermark.
Vertreter der Hongkonger Opposition und Pro-Demokratie-Aktivisten haben für heute Abend zu Demos und Protesten in Hongkong aufgerufen.
China "Sicherheitsgesetz" für Hongkong sorgt für Entsetzen und Proteste
Steffen Wurzel, ARD Shanghai
22.05.2020 10:52 Uhr
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