
Coronavirus in Indien Beerdigungen im Schnellverfahren
Stand: 05.10.2020 13:23 Uhr
Indien hat als drittes Land schon mehr als 100.000 Corona-Tote. Beerdigungen verkommen zu Abfertigungszermonien, Friedhöfe müssen erweitert werden und Priester Leichname transportieren.
Von Bernd Musch-Borowska, ARD-Studio Neu-Delhi
Auf einem muslimischen Friedhof in Delhi wird ein schlichter Holzsarg in das Grab hinabgelassen. Nur ein paar Familienmitglieder des Verstorbenen sind zur Beerdigung gekommen. Normalerweise würden viel mehr Menschen einer Zeremonie beiwohnen, Verwandte, Nachbarn und Freunde, klagt Mohammad Nasrul, einer der wenigen Trauergäste. "Es ist wirklich traurig, dass nicht alle kommen konnten, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Nach unserer Tradition schaut jeder dem Toten noch mal ins Gesicht und verabschiedet sich. Aber das geht jetzt nicht."
Im Schnellverfahren werden die Beerdigungen abgeschlossen, mit einer begrenzten Anzahl von Teilnehmern und kürzeren Zeremonien. Nicht weit entfernt sind die Totengräber schon dabei, das nächste Grab auszuheben. "Wir haben kaum noch Platz hier. Wir werden unseren Friedhof wohl erweitern müssen, zum vierten Mal seit Beginn der Corona-Krise", sagt Mohammad Shameen.
Nur USA und Brasilien haben mehr Tote
Die Zahl der Corona-Toten in Indien hat am Wochenende die Marke von 100.000 überschritten. Mehr Tote im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung gibt es nur in den USA und in Brasilien.
Die Zahl der Neuinfektionen steigt zwar etwas langsamer, aber trotzdem immer weiter, sagt Dr. Manoj Kumar, Arzt im Max-Hospital, einer der größten Privatkliniken in der indischen Hauptstadt: "Allein in Maharashtra haben wir mehr als 1,4 Millionen bestätigte Infektionen, und dort ist auch die Sterberate höher. Im Landesdurchschnitt liegt die bei 1,56 Prozent, und das ist das einzig Positive, dass die im internationalen Vergleich so niedrig ist."
Priester tragen Leichnam zum Scheiterhaufen
In einem Krematorium am Rande von Old Delhi, nicht weit vom Roten Fort entfernt, werden verstorbene Covid-19-Patienten aus hinduistischen Familien verbrannt. Die Sitzbänke neben den flackernden Scheiterhaufen sind leer, wie auf Filmmaterial der Nachrichtenagentur Reuters zu sehen war.
Nur wenige Familienmitglieder der Verstorbenen seien gekommen, so der Hindu-Priester Paramjit Sharma: "Früher sind mindestens 50 bis 60 Angehörige und Freunde zu einer Verbrennung gekommen, aber wegen Corona haben wir jetzt manchmal nicht mal genug Leute, um den Leichnam zum Scheiterhaufen zu tragen. Dann müssen sogar die Priester mithelfen."
Experten halten Zahlen noch für zu niedrig
Im März hatte es den ersten Corona-Toten in Indien gegeben. Bis Mitte August war die Zahl der Opfer auf 50.000 gestiegen. Seitdem hat sich die Zahl innerhalb von rund vier Wochen verdoppelt. Allein im September wurden in Indien täglich mehr Corona-Neuinfektionen und Todesfälle verzeichnet als in jedem anderen Land.
Dabei halten Experten die offiziellen Zahlen noch für zu niedrig. Das wahre Ausmaß des Schadens, den das Virus angerichtet habe, sei deutlich größer, sagt der Virologe T. Jacob John der Nachrichtenagentur AP. So habe man zu Beginn der Krise viele Todesfälle offenbar anderen Ursachen zugeordnet, weil es gar nicht genügend Testmöglichkeiten gegeben habe. Zudem seien in Indien schon vor der Pandemie die Todesursachen von Verstorbenen nicht ausreichend dokumentiert worden.
Indien - mehr als 100.000 Corona-Tote
Bernd Musch-Borowska, ARD Neu-Delhi
05.10.2020 12:02 Uhr
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