
Große Koalition in Israel Eine brüchige Partnerschaft
Stand: 21.04.2020 01:48 Uhr
Drei Wahlen später bekommt Israel eine große Koalition. Darauf einigten sich Ministerpräsident Netanyahu und sein Herausforderer Gantz. Doch die Partnerschaft ist ein Wackelkonstrukt.
Von Tim Aßmann, ARD-Studio Tel Aviv
Am Ende gelang der Durchbruch binnen weniger Stunden. Nachdem zunächst ein Treffen zwischen Benjamin Netanyahu und Benny Gantz ohne Erfolg endete, verkündeten beide Seiten dann am frühen Abend doch eine Einigung und unterschrieben eine Koalitionsvereinbarung.
Netanyahus Likud-Partei und das Bündnis Blau-Weiß des Ex-Armeechefs Gantz wollen gemeinsam mit Partnern aus dem national- und streng-religiösen Lager zunächst eine sogenannte Notstandsregierung bilden, die sich um die Auswirkungen der Corona-Pandemie kümmern soll. Netanyahu soll als Ministerpräsident beginnen und das Amt dann im Oktober nächsten Jahres an Gantz übergeben, der voraussichtlich zunächst Verteidigungsminister wird.
Netanjahu und Gantz vereinbaren große Koalition für Israel
nachtmagazin 00:45 Uhr, 21.04.2020, Mike Lingenfelser, ARD Tel Aviv
Koalitionsvereinbarung ein Erfolg für Netanyahu
Die Regierung werde in der Corona-Krise Leben retten und für die Bürger sorgen, erklärte Netanyahu, und sein künftiger Partner Gantz betonte, erneute Neuwahlen seien nun vermieden. Beide Spitzenpolitiker äußerten sich nur kurz via Twitter. Danach begann in Israel der nationale Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Die Analysten der israelischen Medien sind überwiegend der Meinung, dass die Koalitionsvereinbarung vor allem ein Erfolg für Netanyahu ist. Yoav Krakowski, politischer Kommentator, des Senders Kanal 11, sagt:
"Die Liste der Errungenschaften von Blau-Weiß, ist kurz und die mit denen des Likud sehr lang. Das gilt für den Einfluss auf die Ernennung neuer Richter und auch für die Annexion, die Gantz eigentlich erst im Oktober, November, nach dem Ende der Notstandsregierung, vollziehen wollte."
Mike Lingenfelser, ARD Tel Aviv, zur Regierungsbildung in Israel
tagesschau 20:00 Uhr, 20.04.2020
Die Koalitionsvereinbarung sieht vor, dass Netanyahu bereits im Juli eine Annexion von Teilen des besetzten palästinensischen Westjordanlandes auf den Weg bringen kann. Ein solcher Schritt ist im US-Friedensplan für die Region vorgesehen, wird aber von der internationalen Staatengemeinschaft, inklusive der deutschen Regierung, mehrheitlich abgelehnt und birgt die Gefahr einer Eskalation im Konflikt mit den Palästinensern.
Einigung könnte Netanyahu auch in Korruptionsanklage helfen
Die Koalitionsvereinbarung hilft Netanyahu offenbar auch mit Blick auf die Korruptionsanklage gegen ihn. Sollte der oberste Gerichtshof Netanyahu wegen der Anklage untersagen, Regierungschef zu sein, würde nicht automatisch Gantz Premierminister, sondern es könnten Neuwahlen ausgerufen werden. Außerdem haben sich Netanyahu und seine Likud-Partei in der Koalitionsvereinbarung erheblichen Einfluss auf die Auswahl von Top-Juristen gesichert.
Ende Mai soll der Korruptionsprozess gegen den Ministerpräsidenten beginnen. Das habe Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen gehabt, sagt Raviv Drucker, politischer Kommentator des Senders Kanal 13.
"Während der ganzen Zeit war klar, dass Netanyahu sich einen Fahrplan für sein Gerichtsverfahren parallel zu seiner Regierungszeit als Premierminister zu Recht legte. Viele seiner Forderungen sind erst jetzt bekannt geworden, weil Blau-Weiß fürchtete, dass die Verhandlungen sonst platzen."
Vorwürfe der Unterwerfung gegen Gantz
Rund eineinhalb Jahre, und drei Wahlkämpfe lang, hatte Gantz erklärt, einer Regierung unter Führung eines wegen Korruption angeklagten Netanyahu werde er nicht angehören. Nun tut Gantz es doch. Er habe sich kampflos unterworfen und sei in eine Regierung gekrochen, warf der Oppositionspolitiker Yair Lapid seinem früheren Verbündeten Gantz vor.
Nach 16 Monaten politischer Dauerkrise und drei Wahlen ohne klare Mehrheiten steht Israel nun kurz vor einer Regierungsbildung. Ob dieses fragile Bündnis, das im Zeichen der Corona-Krise zustande kam, langfristig politische Stabilität bringen wird, ist ungewiss.
Einigung auf Regierungskoalition in Israel
Tim Aßmann, ARD Tel Aviv
21.04.2020 06:50 Uhr
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