
Hagia Sophia wird wieder Moschee Erstes Gebet seit 86 Jahren
Stand: 24.07.2020 09:01 Uhr
Sie war Kirche, Moschee und Museum. Ab heute wird die Hagia Sophia wieder als Moschee genutzt. Der türkische Präsident Erdogan hat seine Pläne gegen alle Kritik durchgesetzt. Einige feiern ihn dafür.
Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul
Nach mehr als 80 Jahren findet heute zum ersten Mal wieder ein Freitagsgebet in der Hagia Sophia in Istanbul statt. Eine Gerichtsentscheidung hatte den Weg dafür frei gemacht. Die türkische Regierung verfügte daraufhin: Aus dem Museum wird wieder eine Moschee - trotz massiver Kritik. Das Gebäude soll aber weiter für Touristen offenstehen. Christliche Fresken und Mosaiken sollen nur während der Gebetszeiten nicht sichtbar sein.
Hagia Sophia in Istanbul öffnet für erstes Freitagsgebet seit 86 Jahren
tagesschau 17:00 Uhr, 24.07.2020, Oliver Mayer-Rüth, ARD Istanbul
Ein neuer grüner Teppich
Ein türkischer Fernsehsender hat ein Handy-Video veröffentlicht. Es soll den Soundcheck in der Hagia Sophia zeigen. Im Hintergrund ist auch der neue Teppich zu sehen: "Entenkopf-Grün" nennt sich die Farbe, die Präsident Erdogan selbst ausgesucht haben soll. Auf der Hälfte der Bodenfläche, etwa 2000 Quadratmeter sind das, soll er schon ausgelegt worden sein.
Für Umut Bahceci bedeutet das, dass sie ihr Programm ändern muss. Die 43-Jährige führt seit fast 20 Jahren Touristen durch die Hagia Sophia: "Ich muss mir was Neues überlegen, denn um den Boden der Hagia Sophia zu erklären, habe ich mir normalerweise mindestens eine halbe Stunde Zeit genommen." Sie habe über Marmor gesprochen, die Markierungen - was sie zu dem neuen Boden erzählen werde, wisse sie noch nicht. Das Omphalion, ein Bodenmosaik, am Platz des Kaisers während der Messe, soll nur während der Gebetszeiten bedeckt sein. Ähnliches gilt für die Fresken und Mosaiken an den Wänden und Decken.
"Wir werden die türkische Macht überall sehen"
Harun wollte mit seiner Familie die Hagia Sophia besichtigen. Er kommt aus der Nähe von Ankara. Dass es jetzt nicht klappt - er zuckt mit den Schultern. Er wollte sowieso nach der Wiedereröffnung noch mal kommen, um in der Hagia Sophia Moschee zu beten, sagt er. Für ihn ist Erdogan nur dem Willen des Volkes nachgekommen: "Wir haben uns immer gewünscht, dass unsere wertvollen Moscheen wie die Hagia Sophia für Muslime und Türken geöffnet werden. Und das wird jetzt wahr. Ich hoffe, wir werden die türkische Macht überall sehen." Dabei leuchten seine Augen. Man spürt die Begeisterung. Für Kritik an der Entscheidung, aus dem Museum wieder eine Moschee zu machen, hat der 35-Jährige nur bedingt Verständnis.
Kritk von verschiedenen Seiten
Die Architekturhistorikerin Zeynep Ahunbay hat Jahrzehnte in dem Weltkulturerbe restauriert und sitzt im Beirat der Hagia Sophia. Wenn man etwas ändern wolle, so Ahunbay, dann müsse man der UNESCO Vorschläge präsentieren. Die Experten bewerteten sie dann. Die Entscheidung, die Hagia Sophia für Gebete zu öffnen, sei sehr schnell gekommen. Darum sei nicht klar, wie der Prozess genau ablaufe. "Zum Beispiel legen sie Teppich aus, aber wo genau? Also ohne das Ganze als Projekt anzulegen, ist das problematisch", gibt sie zu bedenken. Davor habe die UNESCO gewarnt.
Manche Kritiker argumentieren politisch. Die Türkei habe in wirtschaftlich schwierigen Zeiten andere Probleme als zu wenig Moscheen, meint zum Beispiel Merel Aksener, die Chefin der Oppositionspartei Iyi Parti. Der türkische Präsident wolle nur ablenken. Auch im Ausland gibt es Widerstand gegen die Entscheidung, vor allem aus Griechenland, aber beispielweise auch von der EU oder aus Russland.
Der Versuch, Steine zu islamisieren
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wehrt sich. "Die Reaktionen aus dem Ausland sind für mich nicht verbindlich. Es gibt positive und negative." Er habe Gespräche mit Einigen geführt, aber die Hagia Sophia sei alleine Thema der Türkei. "Das ist eine Frage der inneren Souveränität", so Erdogan.
Der Termin 24. Juli scheint nicht zufällig gewählt. Die regierungsnahe Zeitung Sabah hat darauf hingewiesen. Am gleichen Tag im Jahr 1923 schloss die Türkei mit damaligen Großmächten den Vertrag von Lausanne. In ihm sind die Grenzen mit Griechenland festgeschrieben.
Die Wahl des Datums könnte als Seitenhieb ausgelegt werden. Die Beziehungen der beiden Nachbarländer sind ohnehin wegen des Bohrstreits im Mittelmeer aktuell sehr angespannt. In kritischen türkischen Medien ist davon die Rede, dass Erdogan versucht, nun Steine zu islamisieren, nachdem es ihm bei den Köpfen nicht gelungen sei.
Reiseführerin Bahceci wählt ihre Worte sehr vorsichtig, wenn es um die Hagia Sophia geht. Sie erzählt, wie sie ihre Reisegruppen erlebt. "Wenn sie die Mosaiken von Maria und Jesus Christus sehen und direkt daneben die wunderschönen Tafeln mit dem Namen von Allah und dem Propheten Mohammed darauf, dann freuen sie sich über die Schönheit und die Toleranz unter einer Kuppel."
Die Hagia Sophia sei der einzige Ort, so Bahceci weiter, wo man diese wunderschönen Bildnisse sehen könne und wo man diese Atmosphäre so spüren könne. Die Frage, ob sich das jetzt ändern werde, könne sie erst beantworten, wenn sie in der Moschee stehe. Aber eines sei klar, sie erlebe Geschichte mit, denn auch das Datum 2020 wird in die Historie des 1500 Jahre alten Bauwerks eingehen.
Erstes Freitagsgebet in der Hagia Sophia Moschee
Karin Senz, ARD Istanbul
24.07.2020 07:02 Uhr
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