
Japan Warum Herr Kataoka ein Atom-Endlager will
Stand: 17.09.2020 05:00 Uhr
Japan sucht seit Jahren einen Standort für ein atomares Endlager. Der Bürgermeister der Kleinstadt Suttsu will seine Bürger von den Vorteilen überzeugen. Er kämpft mit Bedenkenträgern - und Konkurrenz.
Von Barbara Jung, NDR
Haruo Kataoka meint, an den Gesichtern der Bürger in Suttsu ablesen zu können, ob sie sein Vorhaben unterstützen oder nicht. Suttsu ist eine kleine Stadt mit 2900 Einwohnern auf Japans nördlichster Insel Hokkaido. Man kennt sich, schätzt sich - doch seit der Bürgermeister plant, sich um ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll zu bewerben, ist es unruhig geworden in Suttsu.
Die Standortsuche für ein Atommüll-Endlager in Japan gestaltet sich seit Jahren schwierig. Bislang wird der hoch radioaktive Müll vor allem in den Atomkraftwerken selbst verwahrt. Für Japan ist es durch die hohe Erdbebengefahr noch deutlich schwieriger als für andere Länder, einen geeigneten Strandort zu finden.
Vor drei Jahren hat Japan zwar passende Flächen identifiziert, nun liegt es aber an den Gemeinden, den ersten Schritt zu gehen und eine vorläufige Machbarkeitsstudie zu ermöglichen. Ungefähr zwei Jahre würde solch eine Studie dauern. Dann folgt eine Überprüfung der geologischen Merkmale des Bodens. Dauer: circa vier Jahre. Dann eine detaillierte Prüfung, ob eine Anlage in mindestens 300 Metern Tiefe möglich ist. Deren Dauer: ungefähr 14 Jahre.
Staatliche Millionensubventionen winken
Bürgermeister Kataoka sieht in dem Endlager eine Chance, die Zukunft der Stadt zu sichern: Die finanzielle Lage sei prekär, durch Corona noch mehr als zuvor, und die Stadt schrumpfe. Allein für den ersten Schritt der Endlagerprüfung winken staatliche Subventionen in Höhe von umgerechnet rund 16 Millionen Euro - mehr als ein Drittel des Jahresbudgets der Stadt Suttsu.
Außerdem, meint der Bürgermeister, sei es unverständlich, wie man nebenan im AKW in Tomari Atommüll zwar habe erzeugen können, ihn aber hier nicht entsorgen wolle. Das AKW in Tomari ist das einzige auf Hokkaido. Von den 54 AKW-Blöcken in Japan sind nach dem Atomunglück von Fukushima 2011 bislang neun wieder ans Netz gegangen. Tomari gehört nicht dazu.
Bei der Bürgerversammlung sind die meisten dagegen
Bei der ersten öffentlichen Anhörung in Suttsu Ende August schlug Kataoka viel Widerstand entgegen, vor allem von Seiten der Fischer und der Tourismusindustrie. Seit vergangener Woche nun laufen Gespräche mit den Bewohnern von Suttsu. Hunderte sind gekommen.
Ein Vater mit seinem Baby auf dem Arm misstraut dem Bürgermeister: "Ob wir wirklich noch aussteigen können, wenn wir der Machbarkeitsstudie einmal zugestimmt haben?", fragt er gegenüber dem Fernsehsender NHK. Diese Befürchtung teilen viele. Bei der Bürgerversammlung sind die meisten dagegen.
Konkurrenz aus einer Nachbargemeinde
Doch manch einer sieht in dem Endlager auch eine Chance, der Stadt neues Leben einzuhauchen. Eine Frau Mitte 30 sagt gegenüber der Nachrichtenagentur Kyodo, dass sie sich von einem Endlager mehr Arbeitsplätze und den Zuzug von mehr Menschen verspreche. Fragt man Bürgermeister, dann hat er den Eindruck, dass ihn der Großteil der Bürger von Suttsu in seinem Vorhaben unterstütze: "Von der Stimmung her fühlt es sich so an, ja". Er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben und will weitere Gespräche führen.
Alle ähnlichen Vorstöße von Bürgermeistern in anderen Regionen sind bislang am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. In dieser entscheidenden Phase hat Kataoka nun überraschend Konkurrenz aus einer Nachbargemeinde bekommen: Der Bürgermeister des Dorfes Kamoenai hat auch angekündigt, sich um die Machbarkeitsstudie für ein Endlager bewerben zu wollen. Er muss in seinem Dorf erstmal nur 900 Bewohner von seinem Vorhaben überzeugen.
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