
Kopten in Ägypten Weihnachten in Angst
Stand: 07.01.2017 13:40 Uhr
Am 7. Januar feiern die koptischen Christen Weihnachten - ein Fest, das in diesem Jahr in Ägypten von Angst geprägt ist. Denn immer öfter werden sie Opfer von Übergriffen. Erst vor einem Monat starben 27 Menschen bei einem Anschlag in Kairo.
Von Jürgen Stryjak, ARD-Studio Kairo
Viele ägyptische Christen unterstützen den Präsidenten und Ex-Feldmarschall Abdelfattah al-Sisi, weil sie von ihm eine Verbesserung ihrer Lage erhoffen. Obwohl sich die meisten Muslime im Land ein friedliches Miteinander der Glaubensgruppen wünschen, gibt es Übergriffe auf Kopten und Anschläge auf Kirchen, zum Beispiel am 11. Dezember in Kairo, als eine Bombe 27 Menschen tötete. Die Unzufriedenheit unter Kopten wächst, weil Sisi nicht für ihre Sicherheit sorgen kann.
Ein Augenzeuge des Anschlags auf die Kapelle neben der St.-Markus-Kathedrale in Kairo schildert den 11. Dezember 2016: "Ich war zur Sonntagsmesse gekommen, plötzlich gab es eine gewaltige Explosion. Fenster barsten, Menschen rannten davon. Ich habe viele Tote gesehen, die meisten Frauen. An den Wänden war überall Blut."
Orthodoxe Christen feiern Weihnachten
tagesschau 17:00 Uhr, 07.01.2017, Hilde Stadler, ARD Wien
"Vereint im Leid"
Der ägyptische Präsident al-Sisi beschwört später die Einheit des Landes: "Nicht nur die Christen, sondern alle Ägypter trauern heute. Im Leid sind wir vereint. Seit Jahren versuchen die Terroristen, uns gegenander aufzuhetzen. Und weil sie das nicht schaffen, sind sie frustriert."
Das ist keine Propaganda, kein Wunschdenken. Selbst nach Ansicht der schärfsten ägyptischen Islamkritiker wünschen sich mindestens 80 Prozent der Muslime im Land ein friedliches Miteinander mit ihren christlichen Nachbarn - so auch ein muslimischer Passant in Kairo am Tag nach dem Anschlag: "Das ist für uns alle schwer zu ertragen, für das gesamte ägyptische Volk. Egal ob Muslim oder Christ, wir alle lehnen solche Verbrechen ab."
Ungefähr jeder zehnte Ägypter ist Christ. Die meisten dieser rund neun Millionen Menschen sind Kopten, also orthodoxe Christen. Sie unterstützen Präsident Sisi. Vom Präsidenten erhoffen sie Schutz. Sie haben Angst, und ihre Angst ist berechtigt. Immer wieder kommt es zu Gewaltakten gegen Kopten, verübt zumeist von Extremisten. Den Anschlag vom 11. Dezember hat der so genannte "Islamische Staat" für sich reklamiert, eine seiner Terrorgruppen operiert im Norden der Sinai-Halbinsel.
Terror nur ein Vorwand?
Aber immer mehr Ägypter glauben auch, dass die Terrorgefahr für den Staat nur ein Vorwand ist, um praktisch alle Unterdrückungsmaßnahmen rechtfertigen zu können. Sie verurteilen den repressiven Polizeistaat, dessen Sicherheitskräfte seit 2013 mehr als tausend Menschen töteten.
Doch die koptische Kirche stellt sich vorbehaltlos hinter Sisi. Papst Tawadros erklärte sogar, man müsse Menschenrechte momentan zurückstellen.
Der Journalist Wael Iskander kommt aus einer koptischen Familie. Er glaubt, dass die Kopten-Funktionäre auf der falschen Seite stehen und den ägyptischen Christen letztlich damit schaden: "Schämt Euch, sage ich ihnen. Ihr behauptet, Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde, aber man ist nicht das Licht der Welt, wenn man einen Massenmörder unterstützt. Noch tiefer kann man kaum sinken. Ihr stellt Eure eigenen Interessen über die der anderen."
Geht es nur um Macht?
Der koptische Menschenrechtler Mina Thabet befürchtet, dass es dem Regime gar nicht in erster Linie um die Christen geht, sondern um Machterhalt: "Es benutzt die Religion, um die Menschen zu kontrollieren. Sisi ist kein Beschützer von Minderheiten. Wer wie er gute Beziehungen zum koptischen Papst hat, wird dadurch nicht automatisch zum Beschützer der ägyptischen Christen."
Vor allem junge Kopten haben sich in den vergangenen Jahren gegen die eigene Kirche aufgelehnt. Viele wollen eine moderne weltoffene Kirche und glauben, dass sich die Kirchenfunktionäre mit ihren erzkonservativen Ansichten zu sehr in ihre Privatsphäre einmischen. Das beklagt auch die Koptin und Psychologin Sally Toma: "Für einen Kopten gibt es kein ziviles Leben, sondern nur eines innerhalb der Kirche. Wenn du Probleme mit Behörden hast, dann musst du die Kirche um Hilfe bitten. Das verletzt allgemeine Bürgerrechte. Die koptische Kirche dominiert das Leben der Christen."
Pakt zwischen Kirche und Regime
Die Kirche sei einen verhängnisvollen Pakt mit dem Regime eingegangen, sagt Menschenrechtler Thabet. Denn selbstbestimmte Menschen, die Bürgerrechte und eine moderne Zivilgesellschaft fordern, seien eine Bedrohung sowohl für die Machthaber als auch für die Kirche: "Der Staat versucht, die Christen als Mitglieder der Kirche zu behandeln, nicht als Bürger des Landes. Er drängt die Christen in die Kirche, damit er sie dort besser kontrollieren kann. "
Die bei dem Anschlag vom 11. Dezember zerstörte Kapelle neben der St.-Markus-Kathedrale hat das Militär in Rekordzeit wieder aufgebaut. Viele Kopten sind dankbar dafür, aber ihre Angst vor Gewaltakten ist größer geworden. Sie befürchten mehr und mehr, dass das Regime gar nicht für ihre Sicherheit sorgen kann, wenn es dabei vor allem auf einen repressiven Polizeistaat setzt, der alle Ägypter unterdrückt, unabhängig von ihrer Religion. Inmitten eines Kampfes um Macht und Einfluss sitzen die ägyptischen Christen zwischen den Stühlen, und das bereitet vielen von ihnen Unbehagen.
Kopten in Ägypten - Weihnachten in Angst
J. Stryjak, ARD Kairo
07.01.2017 12:21 Uhr