
Pandemie und Krise Libanons Ärzte verlieren die Hoffnung
Stand: 10.12.2020 17:54 Uhr
Covid-19 und eine verheerende Wirtschaftskrise: Die Not im Libanon ist groß, jeder Arzt wird gebraucht. Doch viele sehen keine Perspektive mehr für sich. Sie wandern aus - auch nach Europa.
Von Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo
Hisham Soulayman liebt seinen Job, er hängt an seiner Praxis, seinen Patienten, seiner Heimat und will doch weg. Vor 15 Jahren hat der 48-Jährige Rheumatologe sich in Tripoli niedergelassen. Etwa 3000 Euro hat er monatlich verdient, seine Familie davon gut versorgen können. Das ist jetzt vorbei.
Mittlerweile sind es weniger als 900 Euro. "Für einen Vater mit fünf Kindern reicht das nicht. Ich kann davon gerade mal die Schulgebühren bezahlen", sagt er. Nun will er nach Kanada oder Deutschland auswandern. Dort winken ihm um ein Vielfaches höhere Honorare und ein sicheres, stabiles Lebensumfeld.
500 Ärzte sind schon ausgewandert
Die verheerende Explosion am Hafen von Beirut hat auch das Gesundheitssystem des Libanon erschüttert. Die fünf wichtigsten Kliniken der Hauptstadt wurden zerstört. Die Arbeitsbedingungen vieler Ärzte haben sich seither drastisch verschlechtert. Ihre Gehälter waren schon zuvor infolge der Finanzkrise eingebrochen. Die Preise für Lebensmittel dagegen sind in die Höhe geschossen.
Hunderte Ärzte verlassen den Libanon
tagesthemen 22:15 Uhr, 10.12.2020, Daniel Hechler, ARD Kairo
Nun läuft der Exodus der Ärzte aus dem einstigen Mekka der Medizin im Nahen Osten. 500 haben dem Land in diesem Jahr schon den Rücken gekehrt. Es dürften noch weitaus mehr werden. Die meisten zieht es in die Golfstaaten oder nach Europa, wie der Präsident der Ärztekammer Charaf Abou Charaf beklagt: "Das große Problem ist, dass die erfolgreichen Ärzte gehen und diejenigen, die an den Universitätskliniken unterrichten. Außerdem finden die Absolventen wegen der Finanzkrise nach dem Abschluss keine Arbeit. Auch sie gehen."
Ärzteschwund verschärft Corona-Krise
Der Ärzteschwund trifft die Kliniken mitten in der Corona-Pandemie. Im Hariri-Krankenhaus in Beirut etwa sind schon jetzt 94 Prozent der Intensivbetten belegt. Es gibt keine freien Atemgeräte mehr. Viele Ärzte arbeiten am Anschlag, etliche haben sich selbst infiziert, einige sind auch verstorben.
"Das ist alarmierend", sagt Firass Abiad, der Direktor der Hariri-Krankenhaus. "Wenn die Corona-Zahlen nach Weihnachten und Silvester steigen, können die Kliniken das nicht mehr bewältigen." Dass ausgerechnet jetzt viele Ärzte dem Libanon den Rücken kehren, verschärfe die angespannte Lage noch: "Die Folge ist, dass das verbliebene Personal leider überarbeitet ist. Sie spüren den Mangel, haben noch mehr Stress und wir machen uns große Sorgen, dass das ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt und die Qualität der Versorgung unserer Patienten."
Schmerzhafter Abschied
Hisham Soulayman kennt diese Probleme, er weiß um die Verantwortung für seine Patienten. Viele, die mittellos sind, behandelt er kostenlos. Aber er kommt nun selbst mit den Honoraren nicht mehr über die Runden. Er fürchtet, dass sich die Krise weiter dramatisch zuspitzen könnte und dass womöglich eines Tages der Bürgerkrieg wieder ausbricht.
Auch deshalb will er seine Praxis nun aufgeben. "Natürlich macht es mich traurig, meine Patienten zurückzulassen, meine Praxis, die ich eröffnet habe", sagt er. "Aber ich muss nach vorne schauen, in die Zukunft." Die Ärztekammer befürchtet eine Katastrophe, sollte die Entwicklung nicht schnell gestoppt werden können.
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