
Flüchtlinge in Marokko Wenn Corona selbst die Almosen raubt
Stand: 25.04.2020 20:59 Uhr
Weltweit trifft die Corona-Pandemie Menschen am härtesten, die mit Armut zu kämpfen haben. Auch Flüchtlinge in Marokko. Unter ihnen wächst die Angst, dass nicht das Virus, sondern seine Folgen zur größten Gefahr werden könnten.
Von Dunja Sadaqi, ARD-Studio Nordwestafrika
In großen Abständen zueinander stehen die Menschen vor einer Bäckerei in Rabat. Nur einzeln dürfen sie hinein und ihr Brot kaufen. Vorher müssen sie ihre Hände desinfizieren. Alle tragen Masken - das ist Pflicht in Marokko.
Um die Ecke steht ein junger schwarzer Mann. Schüchtern fragt er die herauskommenden Kunden nach etwas zu essen. Wie ihm geht es zurzeit vielen Migranten. Die strikte Ausgangssperre und der Ausnahmezustand machen ihnen zu schaffen, erzählt Ali per Sprachnachricht. Er ist Anfang 30 und stammt aus Togo:
"Wir dürfen nicht raus. Wir essen nichts mehr, wir sind in unseren Zimmern gefangen. Sie haben uns versprochen, dass wir ein Papier bekommen, mit dem wir rausgehen können, doch es wurde nur an Marokkaner verteilt. Der Staat denkt nicht an uns."
Leben von der Hand in den Mund
Ali teilt sich mit mehreren Migranten eine kleine Wohnung im Viertel Takadoum, in der Hauptstadt Rabat. 20 Personen in einem kleinen Zimmer - das ist hier nichts Ungewöhnliches.
In Takadoum wohnen viele Migranten aus Subsahara-Afrika. Viele leben von der Hand in den Mund. So wie Alis Freund Abdoul aus Burkina Faso: "Der Rassismus hat zugenommen. Ich dachte, wir sind alle Afrikaner, aber warum behandelt mich mein marokkanischer Bruder so? Warum dieser Rassismus? Ich habe Hunger, ich kann nicht rausgehen, ich habe niemanden, der mich unterstützt. Ich fühle mich hilflos."
In Marokko herrscht seit März eine strikte Ausgangssperre. Während des Fastenmonats Ramadan gilt sie zusätzlich in der Nacht. Alles hat geschlossen: Cafés, Restaurants, Geschäfte, Moscheen. In den Straßen kontrollieren Polizei und Militär.
Keine Jobs, keine Almosen
Die Maßnahmen erschweren es auch den Hilfsorganisationen einzugreifen, erzählt Hannes Stegemann, Direktor der Caritas in Marokko. Er beschreibt die Situation als angespannt: "Viele Migranten haben früher von Gelegenheitsjobs gelebt oder vom Betteln. Gelegenheitsjobs gibt es zurzeit nicht. Betteln geht so gut wie gar nicht mehr."
Vor der Pandemie hätten sich Migranten auf Straßenkreuzungen aufgeteilt, um an der roten Ampel um eine Spende zu bitten, erzählt Stegemann weiter. "Heute kommen kaum noch Autos und die wenigen Fahrer machen das Fenster aus Angst vor Corona nicht auf, so dass den Migranten im Grunde genommen jedes Einkommen weggefallen ist."
Laut Stegemann leben derzeit etwa 50.000 Migranten aus afrikanischen Ländern in Marokko, die keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Einige suchen im Königreich nach einem besseren Leben, andere wollen weiter Richtung Europa. Weil Transportwege zurzeit nahezu dicht sind, ist das fast nicht mehr möglich.
Nur wenige Mitarbeiter dürfen Kontakt zu Flüchtlingen haben
Es gebe viele Menschen und Organisationen, die den Migranten auch weiterhin helfen wollen, sagt Stegemann. Aber auch sie träfen die Corona-Maßnahmen:
"Zum Beispiel mussten wir als Caritas alle unsere Betreuungszentren für Migranten schließen - und das gilt für alle Städte. Alle meine Mitarbeiter machen Homeoffice. Wir haben für etwa 30 Mitarbeiter, die eine medizinische oder eine soziale Ausbildung besitzen, Sondergenehmigungen erhalten. So können sie individuellen Kontakt mit einzelnen Migranten aufnehmen, die dann ihre Gemeinschaft, ihre Familien mit Hilfe versorgen können."
"Wir werden nicht am Virus sterben, aber an Hunger"
Die Logistik dahinter sei schwierig. Das sieht auch Yasmina Filali so. Sie ist die Direktorin der "Fondation Orient Occident". Die marokkanische Organisation kümmert sich neben armen und einkommensschwache Marokkanern auch um Migranten.
"Es gab wirklich einen Hilfeschrei aus der Gemeinde der Migranten, denn die Ausgangssperre hat sie empfindlich getroffen. Sie haben uns oft gesagt: 'Wir werden nicht am Coronavirus sterben, aber an Hunger.'"
Also habe ihre Organisation ein Notfalltelefon eingerichtet, das "SOS Migrant" heiße, so Filali weiter: "Uns erreichen jeden Tag Anrufe. Wir kümmern uns derzeit um 500 bis 600 Menschen pro Tag. Wir schicken Essenspakete oder verteilen Essensmarken."
Finanzielle Unterstützung nur mit Aufenthaltsgenehmigung
Marokko hat ein Hilfspaket für Arme und Einkommensschwache im Land auf die Beine gestellt, die besonders unter der die Corona-Krise leiden. So können zum Beispiel Menschen, die im sogenannten informellen Sektor arbeiten - zum Beispiel als Reinigungskraft oder Tagelöhner - staatliche Gelder erhalten. Für Migranten gilt das eigentlich auch. Allerdings müssen sie einen regulären Aufenthaltsstatus haben.
Auf die rund 50.000 Migranten ohne diesen Status trifft das bislang nicht zu. Sie fühlen sich vom Staat allein gelassen.
Marokko im Lockdown - Was ist mit Migrant*innen aus Subsahara-Afrika?
Dunja Sadaqi, ARD Rabat
25.04.2020 16:59 Uhr
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