
Vorläufiges Endergebnis Möglicher Machtwechsel in Montenegro
Stand: 31.08.2020 14:15 Uhr
Das erste Mal seit 1991 steht in Montenegro ein möglicher Regierungswechsel bevor. Nach herben Stimmenverlusten der Regierungspartei hängt nun alles von der Opposition ab.
Von Clemens Verenkotte, ARD-Studio Wien
Bei den Parlamentswahlen im osteuropäischen Montenegro zeichnet sich ein möglicher Regierungswechsel ab. Die staatliche Wahlkommission gab nun das vorläufige Endergebnis bekannt. Die Regierungspartei DPS von Präsident Milo Djukanovic verzeichnet demnach herbe Stimmenverluste. Ob es zum Weiterregieren reicht, ist daher unklar.
Jubel herrscht dagegen bei den Oppositionsparteien. Vor der Wahlkampfzentrale der kleinen Bürgerrechtsbewegung URA stiegen Feuerwerksraketen in den Himmel. Das Wahlergebnis eröffnet dem Lager der Oppositionsparteien, zum ersten Mal seit 1991, die Perspektive eines Regierungsmandats.
"Wir haben gesagt, dass wir Geschichte schreiben werden, und wir haben das gemacht", sagt Dritan Abazovic, Vorsitzender der "Bürgerbewegung Vereinte Reformaktion URA". Er wünsche allen Glück, auch den Menschen, die trotz allem für die DPS gestimmt haben. "Sie sind keine Staatsfeinde. Aber die Mafia wird Montenegro nicht mehr regieren", so Abazovic.
Möglicherweise erster Machtwechsel in Montenegro seit dem Zerfall Jugoslawiens
tagesschau 20:00 Uhr, 31.08.2020, Christian Limpert, ARD Wien
DPS nur noch mit 35 Prozent
Wie die staatliche Wahlkommission nach Auszählung von über 98,5 Prozent der Stimmen in der Hauptstadt Podgorica bekannt gab, erreichte die "Demokratische Partei der Sozialisten DPS" von Djukanovic nur noch 35 Prozent - das schlechteste Ergebnis seit 1991.
Das Lager der drei Oppositionsparteien kam auf insgesamt 50,5 Prozent der Stimmen. So erhielt die stärkste Oppositionsgruppierung, das pro-serbische Bündnis "Für die Zukunft Montenegros" 32,5 Prozent, das Bündnis um die Demokraten "Frieden ist unsere Nation" 12,5 Prozent und die Bürgerbewegung URA 5,5 Prozent.
Noch in der Wahlnacht versicherte der Vorsitzende Zdravko Krivokapic, Chef der stärksten oppositionellen Koalition "Für die Zukunft Montnegros", ein Universitätsprofessor und politischer Neuling: "Unser erstes Ziel lautet, dass wir die Hand der Versöhnung reichen. Die Hand der Versöhnung soll die Grundlage unserer Koexistenz sein. Das bieten wir allen an."
Denn sollten sich diese politisch heterogenen Oppositionsgruppierungen auf ein gemeinsames Koalitionsprogamm einigen können, wäre die knapp 30-Jährige Regierungsmacht der Partei von Staatspräsident Djukanovic beendet.
Djukanovic will Wahlergebnis anerkennen
Djukanovic versicherte bereits gestern Nacht, dass seine Partei und er das offizielle Wahlergebnis anerkennen würden. Zugleich betonte er: "Wie auch immer morgen unsere Position im montenegrinischen Parlament sein wird, bleibt die Demokratische Partei der Sozialisten ein unerschütterlicher Kämpfer um die europäische Zukunft Montenegros." Er sei der Meinung, dass seine Partei in all den vergangenen Jahren einen ernsthaften Schritt in dieser Richtung gemacht habe. "Montenegro ist auf gewisse Weise zu einem Leuchtturm auf dem europäischen Weg geworden, wenn es um die Region des westlichen Balkans geht", so Djukanovic.
Das offizielle Wahlergebnis kommt in der rund 600.000 Einwohner großen ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik, die sich 2006 von Serbien getrennt hat und seit 2017 NATO-Mitgliedsland ist, einem innenpolitischen Erdbeben gleich. Erstmals hatte die einflussreiche Serbisch Orthodoxe Kirche vor den Wahlen eindeutig Partei ergriffen und zur Wahl der Opposition aufgerufen. Sie sah sich durch das umstrittene Kirchengesetz bedroht, das die Besitztümer der Kirche in Montenegro nationalisieren werden. Monatelang hatten Tausende von Menschen gegen dieses Gesetz demonstriert.
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