
Corona in Nicaragua Kleinreden und aussitzen
Stand: 17.04.2020 10:08 Uhr
Mehr als einen Monat war Präsident Ortega aus der Öffentlichkeit verschwunden. Zeit, um einen Plan gegen das Coronavirus zu entwickeln, meinten manche. Nun zeigt sich: Diese Hoffnung der Nicaraguaner war vergeblich.
Von Anne-Katrin Mellmann, ARD-Studio Mexiko
"Das Coronavirus hat Gott geschickt, weil die Menschheit den falschen Weg beschreitet und in Atomwaffen investiert", meint Nicaraguas Präsident Daniel Ortega. Mehr hat der Machthaber nach einem Monat Abwesenheit nicht anzubieten. Die Menschen spekulierten bereits über seinen Tod. Sie machen sich jedoch weniger Sorgen um den Gesundheitszustand des Diktators, als vielmehr über die Ausbreitung des Coronavirus. Angeblich gibt es das Problem in Nicaragua nicht. Schule und Wirtschaft laufen weiter. Experten schütteln den Kopf über die ignorante Haltung der Regierung, die nicht einmal verrät, wie viele Tests gemacht wurden.
Keinerlei Maßnahmen gegen das Virus
Nach 34 Tagen mysteriöser Abwesenheit tauchte Nicaraguas Machthaber am Mittwochabend wieder auf. Live übertrug das Fernsehen seine Rede am blumen- und fahnengeschmückten Kabinettstisch. Gebannt warteten die Nicaraguaner auf eine Ankündigung von Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Vergeblich.
"Die Pandemie ist ein Zeichen Gottes. Er sagt uns: Ihr seid auf dem falschen Weg, denn ihr gebt Millionen für Atombomben, Militärbasen und Militärallianzen aus", sagte der Präsident in seiner Ansprache. Kein Wort darüber, warum er sich so lange nicht hat blicken lassen.
Spekulationen über Ortegas Zustand
Ortegas Gesundheitszustand ist Staatsgeheimnis. Die Spekulationen blühen. Bereits mehrmals wurde er totgesagt, aber er ist ganz der Alte: Der Präsident wirkt hängengeblieben in der Rhetorik des Kalten Krieges und missionarisch eifernd. Er wolle nichts als Frieden, sagt er.
Dass es eine Pandemie gibt, ist ihm bewusst, aber in Nicaragua gelten die Regeln, die er mit seiner Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, beschließt. Sie organisieren Großveranstaltungen, lassen Schulen offen und die Wirtschaft weiterlaufen. Einen Stillstand könne sich das Land nicht leisten.
"Stellt Euch vor", so Ortega, "wir schicken Armee und Polizei in Quarantäne. Wir sagen den Bauern, dass sie zuhause bleiben müssen und ihre Felder nicht mehr bestellen dürfen: Unser Land würde untergehen." Man müsse einen Mittelweg finden, um dieser "Pest" zu begegnen.
Corona könnte Krise verstärken
Nicaragua ist das ärmste Land Mittelamerikas. Seit den Antiregierungsprotesten vor zwei Jahren, die von Sicherheitskräften und Paramilitärs brutal niedergeschlagen wurden, ist die wichtige Einnahmequelle Tourismus versiegt. Unterstützung aus dem verbündeten Krisenstaat Venezuela gibt es nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2019 um 5 Prozent. Entsprechend wächst die Armut.
Die Ortega-Regierung will verhindern, dass die Corona-Krise wie ein Verstärker wirkt. Niemand solle verhungern, so der Staatschef. Offiziell hat Nicaragua kaum Corona-Fälle, während sich das Virus in den Nachbarländern schnell ausbreitet. Auch deshalb herrscht großes Misstrauen gegenüber den offiziellen Informationen.
Regierung "wird absolut nichts unternehmen"
Ortegas Fernsehauftritt habe das noch verstärkt, meint die frühere Gesundheitsministerin Dora Maria Tellez. Während der sandinistischen Revolution war sie Weggefährtin des jetzigen Präsidenten, wandte sich später jedoch von ihm ab.
Sie glaubt, die Regierung werde "absolut nichts" unternehmen, um der Pandemie zu begegnen. "Daniel Ortega hat klar gemacht, dass die Strategie, die Menschenansammlungen und den Kontakt zwischen den Menschen fördert, von ihm abgesegnet wurde", sagt Tellez. Er habe sich "absolut desinformiert" gezeigt. "Er tauchte wieder auf, um zu beweisen, dass er noch lebt und dass er an der Spitze einer Regierung steht, die nichts unternimmt, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern."
Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Haltung der Ortega-Regierung, ebenso die Panamerikanische Gesundheitsorganisation. Sie wirft Ortega vor, verantwortungslos das Leben der Nicaraguaner aufs Spiel zu setzen. Die Amerika-Chefin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, findet es erstaunlich, dass die Ortegas jahrelang die Straßenproteste unterdrückt haben und ausgerechnet jetzt Massenveranstaltungen fördern.
Kleinreden und aussitzen – Nicaragua und das Coronavirus
Anne-Katrin Mellmann, ARD Mexiko City
17.04.2020 09:20 Uhr
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