
Stichwahl in Polen Attacken und Phantomdebatten
Stand: 11.07.2020 18:57 Uhr
Vor der Stichwahl in Polen heute setzt das Duda-Lager auf antideutsche Stimmungsmache. Herausforderer Trzaskowski setzte sich hingegen als Brückenbauer in Szene. Sachlich ging es bei keinem zu.
Von Jan Pallokat, ARD-Studio Warschau
Im Endspurt bekommt der Kampf um das polnische Präsidentenamt eine antideutsche Schlagseite. Das polnische Außenministerium wurde gar in Stellung gebracht: Wegen angeblich manipulativer Berichte deutscher Medien wurde der aktuelle deutsche Vertreter in Warschau herbeizitiert.
Damit unterstützte Polens Diplomatie die Stoßrichtung von Amtsinhaber Andrzej Duda im Wahlkampf: Er hatte unter dem Beifall seiner Anhänger "deutsche Einflussnahme" zu seinen Ungunsten beklagt; dabei einerseits Berichte polnischer Zeitungen mit deutschen Miteigentümern genannt, andererseits aber auch den Polen-Korrespondenten der deutschen Zeitung "Die Welt" namentlich angegriffen - für etwas, was er so gar nicht geschrieben hatte.
"Vor kurzem konnte man in der Zeitung 'Die Welt' lesen, wie ihr Warschauer Korrespondent Herr Fritz berichtet hat, dass Herr Trzaskowski der bessere Kandidat für Polen wäre, denn er sei gegen Reparationen für Polen von Deutschland. Für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg!", ereiferte sich Duda.
Trzaskowski wehrt sich gegen Begriff "Elite"
Diese Unterstellungen oder auch frühere Angriffe gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transmenschen: Analytiker in Warschau vermuten hinter den verbalen Ausritten des Staatsoberhaupts nach scharf rechts das Kalkül, möglichste viele Wähler des Rechtsaußen-Kandidaten Krzystof Bosak auf seine Seite zu ziehen. Die Rechnung dabei laute: Bosaks und Dudas Stimmen aus dem ersten Wahlgang zusammen ergäben eine knappe Mehrheit gegen den Liberalen Rafal Trzaskowski.
Der verkauft sich bei seinen Auftritten im ganzen Land unermüdlich als Brückenbauer, der das zerrissene Land wieder vereinen wolle. Damit schaffte er, was lange unwahrscheinlich schien: Nämlich in der Stichwahlumfrage zu Amtsinhaber Duda aufzuschließen, der den Staatsapparat hinter sich hat - einschließlich des regierungsnahen Fernsehens TVP, das Trzaskowski als elitär, bürgerfern, fremden Interessen verpflichtet darstellt.
Im regierungskritischeren Privatfernsehen gab der zurück: "Wenn ich höre, dass der Präsident der Republik Polen wieder zu trennen versucht, die einen zur 'Elite' erklärt, die anderen nicht, dann sage ich: Die Rolle des Staatspräsidenten ist es, zu vereinen, nicht zu spalten."
Grundlegend gestörter Diskurs in Polen
Eine Debatte über Sachfragen findet nicht statt, was seinen sinnfälligsten Ausdruck Anfang der Woche fand, als Trzaskowski sich einer Fernsehdiskussion mit Duda im regierungsnahen Fernsehen verweigerte. Dieser wiederum entzog sich einer Befragung mit Trzaskowski vor unabhängigen Journalisten.
Am Ende fanden gleichzeitig zwei Phantomdebatten statt und wurden übertragen - mit jeweils nur einem Kandidaten und einem leeren Pult für seinen abwesenden Gegenspieler.
Hängen blieb von den beiden Pseudo-Debatten mit sich selbst: Dass Trzaskowski einer Journalistin nach einem Schwächeanfall das Glas hinreichte, das eigentlich für Duda vorgesehen war - was aber bestimmt eine gestellte Szene war, wie das Duda-Lager sofort wissen wollte.
Duda wiederum sorgte für Aufsehen, weil er ein unklares Verhältnis zur Impfpflicht durchblicken ließ, was ihm wiederum die Kritik von Ärzten einbrachte. Beobachter, die all das eher von außen betrachten, kamen vor allem zu einem Befund: dass der politische Diskurs in Polen inzwischen grundlegend gestört ist.
Stichwahl in Polen: Mit Deutschland-Kritik ins Ziel?
Jan Pallokat, ARD Warschau
11.07.2020 18:12 Uhr
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