
Polizeireform in Camden Von der "Mordhauptstadt" zum Vorbild?
Stand: 26.06.2020 09:00 Uhr
Dialog statt Gewalt: Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd werden in den USA Forderungen nach einer Polizeireform laut. Eine ehemalige "Mordhauptstadt" wird jetzt zum Vorbild.
Von Verena Bünten, ARD-Studio Washington
Auf den ersten Blick ist die Stadt Camden in New Jersey nicht gerade einladend: Viele Geschäftsfassaden sind vergittert, die Fenster leerstehender Wohnhäuser mit Holzbrettern zugenagelt. Große Armut, wenig Chancen - das scheint das Schicksal zu sein für die überwiegend schwarze und hispanische Bevölkerung der 74.000-Einwohner-Stadt.
"Unsere Officer sind Beschützer"
Und doch ist etwas anders als bei sonstigen Brennpunkten in den USA: An einer Straßenecke steht Polizei-Captain Zsakhien James, ein Hühne in Uniform. Der schwarze Beamte ermahnt zwei junge Polizisten: "Trefft die Menschen, bevor sie den Notruf wählen, bevor sie um Hilfe rufen." Das ist das Geheimnis unseres Erfolges.“
Dann schickt er sie als Fußstreife los und erklärt das neue Selbstverständnis seiner Behörde: "Unsere Officer sind Beschützer statt Krieger. Die Kriegermentalität gab es hier früher." Sie kam, nachdem der Suppenhersteller Campbell die US-Kleinstadt in der Nähe von Philadelphia verließ und mit der Arbeitslosigkeit die Zahl der Gewalttaten stieg.
2012 waren 17 Prozent der Bevölkerung ohne Job. Im selben Jahr wurden 67 Menschen ermordet. Die Stadt galt als gefährlichster Ort das Landes. "Die Mordrate war höher als in einigen Drittwelt-Ländern“, erinnert sich Louis Capelli vom Camden County.
Gleichzeitig fehlte das Geld für zusätzliche Polizeikräfte. Dennoch geht die Zahl der Straftaten seit einigen Jahren zurück. Ein Grund: Die Stadt schaffte ihre alte Polizeibehörde ab.
Wie reformierbar ist die Polizei in den USA?
morgenmagazin 06:00 Uhr, 26.06.2020, Verena Bünten, ARD Washington
Vertrauensaufbau statt Abschreckung
Durch eine Neuorganisation sollten die mächtigen US-Polizeigewerkschaften umgangen und mehr Polizisten auf niedrigerem Gehaltsniveau eingestellt werden. Ohne die reformkritischen Gewerkschaften wurde in Camden schrittweise auch die Rolle der Polizei neu definiert: Vertrauensaufbau statt Abschreckung.
"Neue Beamte müssen von Tür zu Tür gehen, um sich vorzustellen. Wir veranstalten Nachbarschaftsabende mit Grillen und Gratis-Eiscreme, um in Kontakt zu kommen. Nur als Partner der Bürger kann man Verbrechen lösen und verhindern“, sagt Capelli.
Schutzmechanismen gegen Polizeigewalt
Psychologische Eignungstests, Deeskalationstraining, Meldepflicht bei Fehlverhalten von Kollegen - solche Mechanismen sollen in Camden Polizeibrutalität wie im Fall Floyd verhindern.
Yolanda Deaver ist Mutter von zwei schwarzen Söhnen. Die Betreiberin eines Haar- und Schönheitssalons macht sich schon bei ihrem Achtjährigen Gedanken, dass er später einmal an den falschen Polizisten geraten könnte - aber nicht in Camden: "Ich glaube, hier ist er sicher und würde nicht ermordet, wenn er etwas falsch macht oder nicht kooperiert."
Neuausrichtung geht nicht weit genug
Kritiker bemängeln beim Modell Camden, die Neustrukturierung der Polizei sei ohne Bürgerbeteiligung einfach von oben umgesetzt worden. Außerdem seien beim Neuaufbau überwiegend ortsfremde weiße Polizisten eingestellt worden. Nicht allen geht die Neuausrichtung weit genug.
Ojii BaBa Madi, ein Seelsorger mit imposanten Dreadlocks, hätte viele Ideen, wie man in Camden nachhaltig für mehr Sicherheit sorgen könnte - mit besser finanzierten Sozialprogrammen nämlich.
Er fordert eine Umverteilung mancher Aufgaben der Polizei - und der entsprechenden Gelder: "Lasst uns die Polizei für Vorbeugung und Bekämpfung von Verbrechen finanzieren“, sagt Madi, "aber nicht, um Sozialarbeiter zu sein. Wir haben Leute, die das besser können, nur sind die chronisch unterfinanziert.“ Es ist eine Forderung, die als "Defund the Police“ bei den Demonstrationen nach Floyds Tod wieder laut wurde.
Modell für andere Städte in den USA?
Zurück auf der Straße, wo die beiden jungen Streifenpolizisten einem Mann helfen, der bettelt, aber von seinem Rollstuhl gerutscht ist. Es sind Gesten, die in guten Zeiten bei der Bevölkerung Vertrauen schaffen sollen, um in schwierigen Momenten darauf aufbauen zu können.
Ob Camden ein Reform-Vorbild für andere US-Städte sein soll, daran scheiden sich die Geister. Und doch spricht der hier erzielte drastische Rückgang an Polizeigewalt für sich. "Wir sind nicht perfekt, aber wir werden besser“, sagt Polizei-Captain James.
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Verena Bünten, ARD Washington, zzt. Camden
26.06.2020 07:31 Uhr