
"Sea-Watch" spaltet Italien Kapitänin gegen "Capitano" Salvini
Stand: 29.06.2019 13:13 Uhr
Nach dem überraschenden Anlanden der "Sea-Watch" haben die Flüchtlinge das Schiff verlassen. Kapitänin Rackete wurde verhaftet und wird zur landesweit bekannten Gegenspielerin von Innenminister Salvini.
Von Tassilo Forchheimer, ARD-Studio Rom
Die Migranten an Land, die Kapitänin festgenommen und zumindest ein Teil der Mannschaft wieder auf offener See - auf ihrem beschlagnahmten Schiff "Sea-Watch 3" in Sichtweite der Insel. Das ist die Bilanz der vergangenen Stunden, in denen es auf Lampedusa kaum unruhiger hätte sein können.
Angefangen hatte alles mit einem nächtlichen Entschluss der Kapitänin Carola Rackete: Die Staatsanwaltschaft habe eine Untersuchung gegen sie eingeleitet und erklärt, nicht dabei zu helfen, die geretteten Flüchtlinge von Bord zu holen. "Das heißt, nach wie vor warten wir auf eine Lösung, die sich leider nicht abzeichnet. Deswegen habe ich mich jetzt entschlossen, selbstständig im Hafen anzulegen." Ein Überraschungscoup, der ihr tatsächlich gelang.
Kapitänin der "Sea-Watch 3" nach Anlanden festgenommen
tagesschau 17:00 Uhr, 29.06.2019
Unterstützer und Gegner
Nun spaltet die ungeplante Ankunft der "Sea-Watch" ein ganzes Land. Das war sogar mitten in der Nacht im Hafen von Lampedusa spürbar. Die italienischen Fernsehsender zeigen Unterstützer und Gegner im Hafen der kleinen Insel. Die einen applaudieren. Die anderen sind aufgebracht.
Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden sind zu hören: "Wie kann es sein, dass hier jeder machen kann, was er will?" ruft eine Frau und fordert lautstark, die Verhaftung der deutschen Kapitänin. Wir wollen sie in Handschellen sehen, heißt es da zum Beispiel.
Kapitänin wird zur Symbolfigur
Die 31-jährige Deutsche ist zu einer landesweit bekannten Symbolfigur geworden. Zur gefühlt wichtigsten Gegenspielerin von Innenminister Matteo Salvini. "Capitana gegen Capitano" - in Anspielung auf einen Spitznamen des Rechtsaußenpolitikers.
Carola Rackete, die Kommandantin der "Sea-Watch", habe das Leben der Beamten der Finanzpolizei aufs Spiel gesetzt, schrieb der starke Mann der italienischen Regierung in einer ersten Reaktion auf den Überraschungscoup der jungen Deutschen. Diese habe sich kriminell verhalten, so der Minister in Anspielung auf eine kurze Szene während der Anlandeprozedur im Hafen von Lampedusa.
Polizeiboot kurzzeitig eingeklemmt
Auf einem Video, das von Salvini selbst verbreitet wurde, ist zu sehen wie ein kleines Boot der Finanzpolizei die Sea-Watch davon abhalten will, im Hafen festzumachen. Für einige Sekunden wird das Polizeiboot kurz zwischen Hafenmauer und Rettungsschiff eingeklemmt. Dabei entstehen bedrohlich klingende Geräusche.
Einer der Polizisten verlässt fluchtartig das Boot und klettert hinauf auf die Kaimauer. Dann sind Rufe zu hören. "Beeil Dich. Fahr vorwärts. Langsam, langsam." Daraufhin verlässt das kleine Boot die Gefahrenzone und macht damit den Weg frei für die Sea-Watch.
Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren
Eine Stunde später wird die Szene der deutschen Kapitänin zum Hauptvorwurf gemacht. Rackete habe einem Kriegsschiff Widerstand geleistet und damit gegen die Schifffahrtsordnung verstoßen, heißt es. Sollte dieser Vorwurf einer rechtlichen Prüfung standhalten, müsste die 31-jährige mit einer Gefängnisstrafe zwischen drei und zehn Jahren rechnen.
Darüber hinaus ist weiterhin von Beihilfe zur illegalen Einwanderung und einer Verletzung des Seerechts die Rede. Rackete stehe unter Arrest, heißt es. Ihr Schiff musste den kleinen Hafen wieder verlassen und liegt nicht weit vor der Insel vor Anker - beschlagnahmt durch die italienischen Behörden. Erneut Stillstand im Mittelmeer. Eine schnelle Klärung der Vorwürfe ist nicht zu erwarten.
Die Lage der "Sea-Watch 3" nach nächtlichem Überraschungscoup
Tassilo Forchheimer, ARD Rom
29.06.2019 12:28 Uhr
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