
Corona-Pandemie in Spanien Wie Altenheime zu Pulverfässern wurden
Stand: 26.03.2020 04:26 Uhr
Die Zustände in spanischen Altenheimen sorgen weiter für Aufsehen. Wegen der Coronakrise müssen Bewohner oft ohne Pfleger auskommen, sind auf sich allein gestellt. Was ist schief gelaufen - und was können die Deutschen lernen?
Von Marc Dugge, ARD-Studio Madrid
Es sind vor allen die Alten, die in Spanien am Coronavirus sterben. Und allzu oft in Altenheimen. Allein in einer Seniorenresidenz in Madrid sind mindestens 17 Menschen am Coronavirus gestorben - 70 infizierten sich. Und das sind nur die offiziellen Zahlen, viele Senioren wurden nie getestet.
Spezialeinheiten der spanischen Armee desinfizieren derzeit Altersheime im ganzen Land - und machen dabei auch gruselige Entdeckungen. Verteidigungsministerin Margarita Robles sagte am Montag:
"Die Armee hat bei einigen ihrer Besuche Senioren gesehen, die völlig allein gelassen wurden, ja, sogar Tote in ihren Betten! Wir werden in dieser Sache unerbittlich und entschlossen sein. Das sollte man sich sehr klar machen."
Experten kritisieren Generalverdacht
Wie viele Tote gefunden wurden und in welchen Altenheimen, darüber sagte die Ministerin nichts. Dafür will ihre Regierung Seniorenheime von nun an genauer unter die Lupe nehmen, damit Missstände nicht unentdeckt bleiben.
Die Lage in Spanien spitzt sich zu
tagesthemen 22:30 Uhr, 25.03.2020, Stefan Schaaf, ARD Madrid
Der Pflegebereich stehe zu Unrecht unter Generalverdacht, sagt Ruben Muñiz-Schwochert, Experte für Altenpflege. Er engagiert sich für eine Stiftung, die sich für Demenzkranke einsetzt. Es gebe einen einfachen Grund, warum die Pfleger die Heimbewohner alleingelassen haben, sagt er:
"Die waren selber krank! Und Versicherungen schreiben derzeit ausgesprochen ungern Sanitäter krank. Wenn die krankgeschrieben sind, sind sie wirklich krank."
Schutzausrüstung für Pflegekräfte fehlt
Und krank werden im Altersheim - das konnte in den vergangenen Wochen ziemlich leicht geschehen. In vielen Altersheimen fehlte und fehlt es an der nötigen Schutzausrüstung für die Pflegekräfte. Die Regierung hat das Material konfisziert, um zunächst die Krankenhäuser damit zu versorgen. Die Krankschreibungen führen dazu, dass sich der Personalnotstand in den Heimen jetzt noch weiter verschlimmert. Dabei sei der schon dramatisch genug, so Muñiz-Schwochert. Ein Ergebnis des harten Sparkurses der spanischen Regierung in den Jahren der Wirtschaftskrise:
"Wir haben nicht genügend Personal, um in diesen Heimen überhaupt arbeiten zu können. Das heißt, das sind wirklich heldenhafte Menschen, die jetzt in diesen hart getroffenen Altenheimen arbeiten. Die meisten Pfleger arbeiten Doppelschicht und sind total erschöpft!"
Die Bewohner der Altenheime dürfen derzeit ihre Zimmer nicht verlassen. In Spanien sind diese oft sehr klein, weil die Bewohner in der Regel nur zum Schlafen dort hingehen. Den Rest des Tages verbringen die Senioren üblicherweise in Gemeinschaftsräumen. Bis jetzt.
Pflegebedürftige in Isolation
Auch die Mutter von Raquel darf ihr Zimmer nicht verlassen. Raquel hat sie seit 15 Tagen nicht gesehen. Die Mutter leidet an Alzheimer. Deswegen kann sie nicht sagen, wie es ihr geht. Raquel muss sich auf die Schilderungen der Pfleger verlassen. Das sei schlimm für sie, sagt sie. Dass die Mutter isoliert wird, findet sie richtig. Es komme nur zu spät.
"Bis zur vergangenen Woche sind die Bewohner des Altenheims noch rein und rausgegangen - also jene, die noch selbständig genug sind. Sie sind durch die ganze Stadt gelaufen, auch die Tagesstätte war noch auf! Das war gefährlich! Denn man konnte das Problem ja kommen sehen."
Deutschland solle nicht den gleichen Fehler machen und auf die Altersheime achten, sagt Ruben Muñiz-Schwochert. Denn eine Seniorenresidenz könne sich zum Pulverfass entwickeln:
"Wir dürfen nicht zulassen, dass die Altenheime wie in Spanien weder diagnostische Mittel haben, noch Schutzmaßnahmen für die Arbeiter. Das ist sehr gefährlich."
Corona-Pandemie: Zustände in spanischen Altenheimen
Marc Dugge, ARD Madrid
26.03.2020 11:03 Uhr
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