
Wikileaks-Gründer Assange Totale Überwachung
Stand: 04.09.2020 18:03 Uhr
Neue Dokumente zeigen: Wikileaks-Gründer Assange und sein engstes Umfeld wurden während seiner Zeit in der ecuadorianischen Botschaft umfassender überwacht als bislang bekannt.
Von Elena Kuch, Robert Holm und John Goetz, NDR
Es ist eine Szene aus der Überwachungskamera, über die sich Stella Moris besonders ärgert. Sie zeigt den Flur der ecuadorianischen Botschaft in London: Holzfußboden, helle Wände, weiße Regale. Auch Teile der Küche sind zu sehen: die Arbeitsplatte, Geschirr - und eine Frau, die an der Arbeitsplatte steht. "Da mahle ich gerade Kaffee", sagt Moris.
Ein weißhaariger Mann läuft durch den Flur, direkt in die Küche zu ihr. Er trägt ein Baby auf dem Arm. "Das war ein Fehler", sagt Moris. "Wir wollten immer vermeiden zusammen mit dem Baby vor den Kameras gesehen zu werden. Wir haben der Sicherheitsfirma einfach nicht vertraut."
Der Mann ist Julian Assange, ihr Verlobter. Das Baby Gabriel, der gemeinsame Sohn, ist damals, am 31. Dezember 2017, noch kein Jahr alt.
Ausspähung in großem Umfang
Was Moris und Assange zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht sicher wissen und nur vermuten: Die spanische Sicherheitsfirma UC Global, im Auftrag der ecuadorianischen Regierung eigentlich für den Wachschutz des Londoner Botschaftsgebäudes zuständig, späht Assange und seine nächsten Angehörigen offenbar umfassend aus - in einem noch viel größeren Umfang als bislang bekannt.
Das geht aus internen Unterlagen der Sicherheitsfirma hervor, die NDR und WDR vorliegen. Fotos zeigen Assanges private Wohnräume in der Botschaft, in die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma eingebrochen sein sollen. Auch offenbar vertrauliche Treffen zwischen Assange mit einem Psychologen und einem Arzt wurden dokumentiert. Sogar ein Tagebuch über Assanges Schlafrhythmus und sein psychologisches Befinden führen die Mitarbeiter offenbar.
Auch Assanges Partnerin im Visier
Außerdem ahnten die Mitarbeiter von UC Global wohl, dass Moris und Assange ein Paar waren. Man könne Moris "beschatten […] und sogar auf der Straße überfallen", heißt es in einer E-Mail. Später soll ein Mitarbeiter sogar damit beauftragt worden sein, die Windel oder einen Schnuller ihres Sohnes zu stehlen. So habe man DNA sicherstellen wollen, um herauszufinden, ob Julian Assange wirklich der leibliche Vater des Kindes sei.
In der ARD-Dokumentation "Wikileaks - Die USA gegen Julian Assange" äußert sich Moris erstmals im deutschen Fernsehen. "Wir wollten unsere Beziehung geheim halten", sagt sie. "Wenn herausgekommen wäre, dass ich seine Partnerin bin, wäre ich zu einem Hauptziel geworden." Die Juristin traf den Wikileaks-Gründer 2011 zum ersten Mal, als er sie in sein Beraterteam holte. Seit 2015 sind Moris und Assange liiert.
Im Auftrag der US-Geheimdienste?
Wer die Sicherheitsfirma UC Global mit der mutmaßlich illegalen Überwachung von Assange und seinem Umfeld beauftragte, ist bislang unklar. Die internen Unterlagen legen aber nahe, dass der Chef von UC Global, David Morales, auch mit US-Geheimdiensten verhandelte.
In einer seiner E-Mails heißt es: "Die Kontrolle haben unsere Freunde aus den USA." In einer anderen Nachricht spricht Morales von einem "Dienst der Stars and Stripes". Außerdem ermahnt er seine Mitarbeiter, nicht über seine Dienstreisen in die USA zu sprechen und sie auch vor der ecuadorianischen Regierung geheim zu halten.
Den Verdacht, UC Global habe Assange und seine Besucher im Auftrag von amerikanischen Geheimdiensten ausgespäht und Überwachungsmaterial weitergegeben, weist Morales im Interview mit dem NDR aber zurück. "Unser Auftrag war es, die Botschaft zu schützen." Behauptungen über Verbindungen seiner Firma in die USA seien albern.
Assange drohen 175 Jahre Haft
Assange reichte inzwischen Klage gegen UC Global und Firmenchef Morales wegen der mutmaßlichen Überwachung ein. Am kommenden Montag beginnt in London die Hauptverhandlung über die Auslieferung des Wikileaks-Gründers in die USA, wo er wegen des Erhalts und der Weiterverbreitung geheimer Informationen angeklagt ist. Bei einer Verurteilung drohen ihm 175 Jahre Haft.
Assanges Familie und Anwälte fürchten derweil, dass sich der Wikileaks-Gründer das Leben nehmen könnte, wenn er in die USA abgeschoben würde: "Sein Leben ist in Gefahr."
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