
Ein Jahr nach dem Lockdown Wuhan - fast so, als wäre nichts gewesen
Stand: 23.01.2021 10:37 Uhr
Als weltweit erster Corona-Hotspot wurde die chinesische Metropole Wuhan vor einem Jahr abgeriegelt. Inzwischen läuft das Leben dort wieder weitgehend normal. Die Sorge vor einer Rückkehr des Virus aber bleibt.
Von Ruth Kirchner, ARD-Studio Peking, zzt. Berlin
Manche Szenen aus Wuhan können den Lockdown vor einem Jahr fast vergessen machen: Clubs, in denen Hunderte Menschen ohne Maske und Abstand tanzen. Corona? War da was? "Tanzen gehen, das macht jetzt noch mehr Spaß", sagt eine Besucherin. "Wir waren so lange eingesperrt - jetzt wollen wir Party machen."
"Das vergisst man nicht so schnell"
Während in den Clubs aufgelegt wird, schauen andere eher nachdenklich auf die letzten Monate zurück. Lily zum Beispiel, aus Shiyan, einer Drei-Millionenstadt 400 Kilometer nordwestlich von Wuhan. Vor einem Jahr war sie dort eher zufällig wochenlang im Lockdown.
Eigentlich wollte sie ihre Eltern damals nur kurz während des chinesischen Neujahrsfestes besuchen. Aus dem Kurztrip in ihre Heimatstadt wurden 59 Tage Lockdown in der kleinen Wohnung ihrer Eltern. "Das kommt mir jetzt wie ein Traum vor, irgendwie unwirklich", erzählt sie heute. "Das lastet immer noch wie ein sehr schweres Gewicht auf uns. Das vergisst man nicht so schnell."
Wuhan ein Jahr nach Abriegelung
tagesthemen 23:10 Uhr, 23.01.2021, Tamara Anthony, ARD Peking
Lily - ihren chinesischen Namen möchte sie nicht nennen - ist längst wieder in Peking, wo sie arbeitet. Aber der Lockdown vor einem Jahr hat die 29-Jährige ins Grübeln gebracht und ihre Lebenseinstellung verändert. "Unser Lebensstil ist falsch, der Konsum, die Industrieproduktion", sagt sie. "Ich habe seit fast einem Jahr keine neuen Klamotten mehr gekauft, esse seit der Pandemie kein Fastfood mehr, versuche plastikfrei zu leben. Vieles, was ich mir während der Pandemie überlegt habe, versuche ich jetzt umzusetzen."
Der Patriotismus ist gewachsen
In deutlichem Kontrast dazu steht die offizielle Propaganda in China. Dort wird der Sieg über das Virus auch als Sieg der Kommunistischen Partei gefeiert. An Versäumnisse der Behörden in den Anfangswochen soll niemand erinnern. Kritiker wie die Bloggerin Zhang Zhan sitzen im Gefängnis, andere wurden eingeschüchtert, ihre Forderungen nach Aufarbeitung von der Zensur unterdrückt.
Lily will das Vorgehen der Regierung nicht bewerten. Aber sie hat in ihrem Umfeld Veränderungen bemerkt: "Viele um mich herum sind patriotischer geworden. Anfangs haben sie noch über die Maßnahmen der örtlichen Behörden geschimpft. Aber dann haben sie gesehen, wie es in anderen Ländern läuft und denken jetzt, dass wir das vielleicht doch besser machen."
Angst vor erneuter Isolation
Allerdings ist das Coronavirus auch in China nicht vollständig besiegt. In Wuhan gab es zwar seit Mai offiziell keine Neuinfektionen, aber in Nordchina sieht das anders aus - etwa in Hebei, der Nachbarprovinz von Peking. Dort sind ein Jahr nach Wuhan in mehreren Städten jetzt Millionen Menschen im Lockdown.
Auch in Peking und anderen Städten gab es in den vergangenen Tagen neue Fälle. Insgesamt sind es zwar nur wenige, aber Lily hat Angst. "Ich habe keine Angst, infiziert zu werden - aber ich habe Angst, nach einer Reise erneut isoliert zu werden. Wenn ich irgendwo hinfahre und von dort wegen eines Ausbruchs nicht wieder wegkomme oder nicht zurück nach Peking darf - das macht mir richtig viele Sorgen."
Lily hat sich deshalb entschieden: Zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar, wenn traditionell Millionen Menschen in ihre Heimatorte fahren, wird sie diesmal nicht zu ihren Eltern nach Shiyan reisen. Die Angst vor einem neuen Lockdown ist einfach zu groß.
Ein Jahr nach dem Corona-Lockdown in Wuhan: "Ich habe immer noch Angst"
Ruth Kirchner, ARD Peking
23.01.2021 10:23 Uhr
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