
Gleichstellung in Deutschland Durch die gläserne Decke
Stand: 08.07.2020 18:11 Uhr
Mit einer ressortübergreifenden Strategie und 67 Maßnahmen will die Bundesregierung mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Ministerin Giffey spricht von "Meilensteinen" - doch eine ganz entscheidende Maßnahme fehlte.
Von Iris Marx, tagesschau.de.
Franziska Giffey wählte bei der Präsentation ihrer sogenannten Gleichstellungsstrategie eine ungewohnte Kulisse: Ihre Strategie bewarb sie im Hintergrund mit Postern, die stark an Filmplakate einer "RoKo" erinnern, einer Romantischen Komödie. Jenes Filmgenre, das auf humorvolle Weise eine alltägliche Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau erzählt mit allen Irrungen und Wirrungen - meist mit Happy End. Doch das lässt bei der Gleichstellung noch auf sich warten.
Je verantwortungsvoller der Job, desto weniger Frauen
Seit Jahren streiten die Parteien darüber, wie Gleichstellung gefördert und durchgesetzt werden kann. Und dennoch bestehe nach wie vor zwischen Männern und Frauen eine Lohnlücke von 20 Prozent, die zur einer Rentenlücke von 50 Prozent führe, erläuterte Giffey. Das Wort von der "gläsernen Decke" ist längst ein geflügeltes geworden.
Gerade in den gutbezahlten Führungspositionen seien Frauen unterrepräsentiert. Und in der Tat sinkt immer noch der Anteil an Frauen in Unternehmen, je wichtiger die Position wird. "Man kann es durchaus mit einer Pyramide vergleichen", sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu tagesschau.de. "Und je weiter es in der Hierarchie in einem Unternehmen nach oben geht, desto geringer wird dort der Anteil von Frauen", so Wrohlich. Nach einer Untersuchung der Allbright-Stiftung aus dem Herbst 2019 gab es in 103 von 160 börsennotierten Unternehmen keine einzige Frau im Vorstand. Immerhin in den Aufsichtsräten gibt es eine Verbesserung.
Verbindliche Quote für den Aufsichtsrat zeigt Wirkung
Seit 2016 gilt in Deutschland für börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen eine gesetzlich verbindliche Frauenquote in den Aufsichtsräten von 30 Prozent. Nach Angaben der Allbright-Stiftung wird dieser Wert inzwischen erreicht.
Bedenken, dass Unternehmen bei einer verbindlichen Quote Schwierigkeiten haben, geeignete Kandidatinnen zu finden, hätten sich nicht bewahrheitet. "Es ist bislang wirklich nur einmal vorgekommen, dass ein Unternehmen zunächst keine geeignete Frau für den Posten gefunden hat. Das war Villeroy und Boch", sagt Monika Schulz-Strelow, Präsidentin von Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) zu tagesschau.de. Doch auch das habe sich dann geklärt. Das sei daher eher nicht das Problem - zumindest bei den Aufsichtsräten. Daher findet Schulz-Strelow es gut, wenn dieses Gesetz auch auf die Vorstandsposten ausgeweitet würde. "Es braucht diesen Druck".
Kabinett beschließt Strategie zur Gleichstellung von Frauen und Männern
tagesschau 20:00 Uhr, 08.07.2020, Julie Kurz, ARD Berlin
Zielvorgabe Null
Bislang ist hier nur die Vorgabe verbindlich, dass sich Unternehmen konkrete Zielvorgaben setzen müssen. Etwa wie hoch der Frauen- und Männeranteil für jede einzelne Vorgesetzten- und Leitungsebene sein soll. Sanktionen drohen keine, wenn die selbstgesteckte Vorgabe nicht eingehalten wird. Andere Unternehmen haben es sich entsprechend einfach gemacht und sich als Zielvorgabe eine Null gesetzt, also null Frauen.
Zwar existiert ein Gesetzesentwurf von Giffey und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) von Anfang des Jahres, der dieses Vorgehen sanktionieren wolle und auch eine verbindliche Quote für Vorstandsposten festschreiben soll, aber dafür habe es von der Union keine Zustimmung gegeben, so Giffey. Dieser Punkt gehört also nicht zu der nun vorgestellten Strategie.
Dennoch bezeichnet die Ministerin ihre Maßnahmen als "Meilenstein, der Maßstäbe für das Regierungshandeln und auch für weitere Legislaturperioden setzt". Die über 60 Einzelmaßnahmen beinhalten etwa eine bessere Breitbandanbindung für die Arbeit im Homeoffice bis hin zu einer Aufwertung sozialer Berufe, die typischerweise von Frauen ergriffen werden. Aber auch die eigenen Behörden seien gefragt, ein Zeichen zu setzen.
Opposition sieht keine Strategie in der Gleichstellungsstrategie
Die AfD hält eine Strategie für überflüssig. "Unterschiedliche Interessen, Bildungswege und Berufswahl von Männern und Frauen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. So entscheiden sich Frauen öfter für soziale Berufe, Teilzeit und Familienarbeit, Männer hingegen öfter für technische Berufe und Vollerwerbstätigkeit. Diese Entscheidungen gilt es zu respektieren, ebenso die daraus resultierenden unterschiedlichen Lebensentwürfe und Berufswege", erklärte die Abgeordnete Beatrix von Storch gegenüber tagesschau.de.
Anders die FDP. Die stellvertretende Bundesvorsitzende, Katja Suding, findet es grundsätzlich gut, die Gleichstellung in den Fokus zu stellen. Sie sei nur enttäuscht von den Vorschlägen der Familienministerin. "Das sind alles altbekannte Forderungen, die hier aneinandergereiht wurden", so Suding. Viel Innovatives sei nicht dabei. Eine Strategie könne sie nicht erkennen.
Signalwirkung für künftiges Regierungshandeln
Es mag zwar nicht viel Neues dabei sein, meint FidAR-Präsidentin Schulz-Strelow. "Dennoch halte ich es für wichtig, alle Punkte noch einmal durchzudeklinieren und als gemeinsames Ziel zusammenzufassen." Es brauche manchmal kleine Schritte. Schließlich bilde die sogenannte Gleichstellungsstrategie nun eine Grundlage, auf der die verschiedenen Ministerien eigene Umsetzungsvorschläge erarbeiten müssen. Mit einer Fortsetzung darf also gerechnet werden - vielleicht irgendwann mit Happy End.
Giffey stellt Gleichstellungsstrategie vor
Christian Schaaf, ARD Berlin
08.07.2020 14:04 Uhr
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