
Arm im Alter Wenn die Rente nicht reicht
Stand: 09.01.2020 10:33 Uhr
Therese Nieder hat drei Kinder erzogen, immer wieder Vollzeit gearbeitet. Jetzt muss sie von 8,30 Euro täglich leben. Wie sie gelten mehr als drei Millionen Senioren als armutsgefährdet.
Von Herbert Kordes, WDR
Wenn Therese Nieder montags einkaufen geht, dann geht sie nicht in den Supermarkt - sondern zur Tafel in München-Ramersdorf. Die 79-Jährige erinnert sich noch gut an das komische Gefühl, als sie zum ersten Mal dort war: "Das war nicht leicht. Ich hab gedacht, oh Gott, wenn mich da jemand sieht, der mich kennt. Und dann hab ich mir gedacht: Es sind lauter Fremde - und dann wurde es mit jedem Mal besser."
Mehr als drei Millionen Betroffene
Nieder gehört zu den rund drei Millionen armutsgefährdeten Rentnern und Pensionären in Deutschland. In ihrem Fall heißt das: Sie bekommt Rente und Grundsicherung - gut 1100 Euro monatlich. Aber nach Abzug der Fixkosten bleiben davon nur noch rund 8 Euro 30 am Tag - für Lebensmittel, Reparaturen, rezeptfreie Medikamente oder Kleidung.
Die Gefahr für Rentner und Pensionäre, in Armut zu verfallen, ist in Deutschland massiv gestiegen. Im Jahr 2017 waren 3,2 Millionen Menschen davon betroffen, 215.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Dies geht aus bislang unveröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor, die dem ARD-Magazin Monitor vorliegen.
Niedriglohn und unterbrochene Erwerbsbiografien
Für Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kein Wunder: "Die Tatsache, dass wir so einen großen Niedriglohnbereich haben, führt auch dazu, dass viele Menschen im Alter ein großes Problem haben, über die Runden zu kommen. Altersarmut nimmt schon jetzt zu und wird in den nächsten zehn, 15 Jahren noch mal sehr, sehr deutlich zunehmen - weil wir immer mehr Menschen haben, die zu geringe Löhne bekommen oder in Teilzeit arbeiten oder unterbrochene Erwerbsbiografien haben", sagt er.
Die drei Kinder waren noch klein, als Therese Nieder sich von ihrem Mann trennte. Zehn Jahre war sie für ihre Kinder zu Hause: "Man wird im Grunde bestraft, wenn man Kinder erzieht. Ich krieg ja ein bisschen Müttergeld, aber das ist ganz minimal - und die zehn Jahre, wo ich daheim war, die fehlen halt an der Rente". Dann arbeitete sie Teilzeit, später Vollzeit.
Die Zahl der armutsgefährdeten Rentner und Pensionäre in Deutschland steigt
Morgenmagazin, 09.01.2020, Herbert Kordes, WDR
Nachts Post verteilt, morgens Kinder betreut
"Ich hab Nachtschichten gemacht - von drei Uhr in der Frühe bis um acht hab ich gearbeitet, Post verteilt. Dann habe ich die Kinder fertig gemacht für die Schule und die Kleine für den Kindergarten. Dann konnte ich kurz schlafen, wenn nicht grad wieder was geklingelt hat."
Der Gang zum Sozialamt kommt für Nieder nicht infrage. Auch als sie wieder Vollzeit gearbeitet hat, verdiente sie nicht viel für die Rentenkasse. Die Mütterrente für die Betreuung ihrer drei Kinder bringt ihr aktuell zusätzlich 49,60 Euro monatlich - die Rente ist damit zwar höher, wird aber auf die Grundsicherung angerechnet. Ein Nullsummenspiel.
Verein hilft Rentnern
Sandra Bisping vom Verein "Ein Herz für Rentner" arbeitet daran, armen Rentnern das Leben etwas zu erleichtern. Sie hilft mit ihrem Verein bei teuren Anschaffungen, organisiert Veranstaltungen für arme Rentner oder unterstützt sie mit monatlichen Patenschaften.
Es gehe ihr um die Würde der Menschen, sagt Bisping. Denn die Würde sei bedroht, wo der Sozialstaat versage: "Grundsätzlich sollte es uns gar nicht geben müssen. Wir sind in einem reichen Sozialstaat, heißt es immer. Und es kann nicht sein, dass viele Menschen sich teilweise kein Essen leisten können oder auf dem Boden schlafen müssen mit 82 Jahren, weil der Lattenrost kaputt geht".
Kaputte Geräte - eine Herausforderung
Nieder hat von Bispings Verein eine neue Couch bekommen - und eine wärmende Bettunterlage. Es ist eines der größten Probleme dieser Menschen: Sie haben keine Rücklagen mehr. Eine kaputte Waschmaschine wird zur finanziellen Herausforderung.
Bisping glaubt zurzeit nicht, dass die Bundesregierung das Problem der Altersarmut in den Griff bekommt - auch nicht mit der geplanten Grundrente: "Ich finde es gut, dass es jetzt einen Ansatz gibt, aber er ist noch nicht zu Ende gedacht. Die Grundrente löst nicht das Problem der Altersarmut".
Die Scham, Armut zuzugeben
Für Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband ist die Grundrente gleichwohl "ein wichtiger Beitrag, um verdeckte Armut zu überwinden". Denn die Grundrente wird ohne weitere Antragstellung ausgezahlt. Das sei von Vorteil im Vergleich zur Grundsicherung. Denn obwohl viele Ältere heute schon berechtigt seien, Grundsicherung zu beantragen, machten es viele nicht - oft aus Scham.
Nieder trifft sich alle zwei Wochen mit anderen Senioren des Vereins "Ein Herz für Rentner" zum Kaffeeklatsch. Denn auch wenn sie nicht viel Geld hat - eines soll ihr nicht passieren: dass zur Armut auch noch die Einsamkeit hinzukommt.