
Studie zu Ungleichheit Wie die Schere schließen?
Stand: 18.09.2017 17:49 Uhr
Die Hans-Böckler-Stiftung attestiert Deutschland in einer Studie große Ungleichheit. Das bremse auch die Wirtschaft, sagen die Autoren und mahnen Reformen von Mindestlohn bis Grundsteuer an. Doch die sind umstritten.
Von Marie Löwenstein, tagesschau.de
Die Ungleichheit in Deutschland ist seit den 1990er Jahren gewachsen. Das ist nicht nur aus sozialpolitischer Sicht schlecht, sondern schadet auch der Wirtschaft, heißt es in der Studie "Was tun gegen die Ungleichheit" der Hans-Böckler-Stiftung.
Ungleichheit bremse das Wirtschaftswachstum aus, zum Beispiel, weil untere Einkommensklassen dann weniger konsumierten oder in Bildung investierten, schreiben die Autoren der Studie. Auf Basis dieser Grundannahmen formulieren sie politische Handlungsempfehlungen, um die Ungleichheit zu bekämpfen.
Doch bereits die Grundprämisse, dass Ungleichheit das Wachstum hemmt, stehe empirisch auf sehr wackeligen Füßen, sagt Judith Niehues, die beim Institut der deutschen Wirtschaft zum Thema Einkommensverteilung forscht. "Einkommensunterschiede stellen ja einen zentralen Leistungsanreiz dar", so Niehues.
Und selbst wenn man der Grundannahme folge, dass Ungleichheit dem Wirtschaftswachstum schadet: Die politischen Handlungsempfehlungen der Böckler-Stiftung würden nicht unbedingt dazu beitragen, diese zu reduzieren, sagt Niehues.
Mindestlohn verringert die Ungleichheit nicht zwangsläufig
Da ist zum Beispiel der Mindestlohn. Laut den Autoren der Studie muss er angehoben werden. Deutschland hinke im internationalen Vergleich hinterher. Niehues widerspricht: Ein höherer Mindestlohn trage nicht zwangsläufig dazu bei, die Ungleichheit zu verringern. Schließlich werde er kontextunabhängig allen Arbeitnehmern gezahlt - auch denen, die ihn gar nicht nötig haben, weil sie anderweitig finanziell gut abgesichert sind. Auch erreicht er nicht die Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes, und kann den Eintritt sogar erschweren
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Staatliche Absicherung gleiche Vermögen aus
Auch die Forderung der Studienautoren, die Ungleichheit der Vermögen zu bekämpfen, sieht Niehues kritisch. Vermögensungleichheit sei - anders als in der Studie angenommen - nicht direkt ein Indiz für Ungleichheit insgesamt. Die Lücke zwischen den Klassen erscheine in Deutschland nur besonders groß, weil die staatliche Absicherung so gut sei.
Niehues argumentiert: Aufgrund der hohen Sozialversicherungsbeiträge könnten die unteren Klassen zwar kaum Vermögen ansparen, weil wenig vom Lohn bleibt. Im Gegenzug müssten sie aber nicht privat vorsorgen, weil sie durch den Staat abgesichert seien. Kurz gesagt: Ihr Vermögen liege zu Teilen nicht auf dem Konto, sondern beim Staat. Das tauche in der Vermögensstatisik aber nicht auf.
Die Vermögenssteuer sei symbolisch
Dementsprechend ist Niehues auch dagegen, eine Vermögenssteuer einzuführen, um die Vermögensungleichheit zu verringern - wie von den Autoren der Studie gefordert. Das wäre eine Symbolsteuer, sagt sie. Prognosen zeigten, dass sich die Ungleichheit dadurch nicht verringern würde.
Ansetzen müsse man zum Beispiel bei Immobilien. Dass Grundbesitz anders besteuert werden soll, hält Niehues ebenso wie die Autoren der Studie für sinnvoll. Bei einer Umwandlung der Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer würden zum Beispiel Grundstücke geringer besteuert, je mehr Menschen auf ihnen leben.
Dadurch würden laut der Studie die Bewohner von mehrgeschossigen Gebäuden - klassischerweise Mieter - finanziell entlastet. Auch für Investoren könnte so eine Reform einen Anreiz bieten, pflichtet Niehues bei. Sie würden dann Grundstücke intensiver bebauen und so helfen, die Wohnungsknappheit in Städten zu bekämpfen.