
Coronavirus Wie gut ist Deutschland vorbereitet?
Stand: 26.02.2020 18:36 Uhr
Die Bundesregierung sieht Deutschland gut vorbereitet für weitere Coronavirus-Infektionen. Doch Experten mahnen: Viele Kliniken hätten nicht genug Platz und Personal, um eine größere Anzahl Erkrankter zu isolieren und zu versorgen.
Von Alexander Steininger, tagesschau.de
Nach den Infektionen in mehreren Bundesländern sind sich Gesundheitsexperten sicher: Eine weitere Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die zuständigen Behörden zeigen sich besorgt, betonen aber, dass man notwendige Gegenmaßnahmen jederzeit ergreifen könne. "Unser Gesundheitswesen ist für solche Erkrankungen gut vorbereitet und aufgestellt", erklärte der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Sein Ressortkollege im Bund, Jens Spahn, verweist auf die Pandemie- und Notfallpläne, die Handlungsanweisungen für solche Infektionswellen geben.
Keine flächendeckenden Tests
Doch einige Experten sind skeptisch, ob das Gesundheitssystem Hunderten oder gar Tausenden Coronafällen wirklich gewachsen ist. Ein Grund zur Sorge: Fehlende Tests. Zwar können viele Unikliniken, Forschungseinrichtungen wie das Bernhard-Nocht-Institut und auch private Klinikkonzerne wie Asklepios diese Untersuchung durchführen.
Allerdings zahlen die Krankenkassen nicht bei jedem Patienten, der sich krank fühlt, dafür. Nur bei Patienten, die nach der Definition des Robert-Koch-Instituts zur Risikogruppe gehören, kürzlich in China waren oder Symptome einer Lungenerkrankung zeigen, übernehmen die Kassen die Kosten. Grund ist, dass man den Aufwand und die Kosten im Rahmen halten will.
Der Virologe Alexander Kekulé von der Universitätsklinik Halle kritisiert das. In Italien habe man gesehen, dass Corona-Infektionen als Erkältungen behandelt worden seien, auch in Krankenhäusern. Daraus müsse Deutschland Schlüsse ziehen. Kekulé schlug in den tagesthemen vor, flächendeckend alle Grippefälle und schweren Erkältungen sofort auch auf das neue Virus zu testen. "Das ist die einzige Möglichkeit, quasi ein Netz über Deutschland zu legen und so einen einzelnen Fall oder einen kleinen Ausbruch frühzeitig zu erkennen", sagte er. Nur so könne man die "glimmende Zigarette austreten, bevor sie einen Waldbrand verursacht".
Isolierstationen als Herausforderung
Ein weiterer Kritikpunkt: Fehlende Isolierstationen. Sollte es deutlich mehr Infektionen geben, müssen normale Zimmer oder Stationen in solche speziell abgegrenzten Bereiche umgewandelt werden. Das sei zwar ohne weiteres möglich, betont Marylyn Addo, Leiterin der Infektiologie am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf, gegenüber tagesschau.de. Es zieht allerdings Folgen nach sich.
Wegen der hohen Anzahl an Erkrankten im Winter seien Häuser wie die Charité in Berlin aber bereits zu 85 Prozent ausgelastet. Sollte ein großer Corona-Ausbruch hinzukommen, "dann wird es schwierig, die normale Versorgung aufrechtzuerhalten", sagte Christian Drosten, Virologe an der Charité.
Auch Mathias Eberenz vom privaten Klinikkonzern Asklepios betont gegenüber tagesschau.de, man könne bei einem größeren Ansturm Zimmer oder sogar ganze Bereiche in Isolierbereiche mit entsprechenden Hygieneschleusen umwidmen. Allerdings müssten dann Ressourcen umgeschichtet werden, nicht notwendige Operationen würden also verschoben.
Besonders schwierig wird es, wenn die Infizierten auch lebensbedrohlich erkranken und auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Denn diese arbeiten vielerorts ohnehin bereits am Limit. Sollten die diese Zahlen deutlich steigen, dürfte die Kapazitäten dort schnell ausgeschöpft sein.
Prof. Marylin Addo, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, zur Verbreitung des Virus
tagesschau 17:00 Uhr, 26.02.2020
Aufwändige Betreuung
Hinzu kommen Personalengpässe als weiteres Problem. Die Betreuung in Isolierstationen ist sehr aufwändig und zeitintensiv. Es müssen spezielle Hygienevorschriften eingehalten werden, Infizierte müssen in der Regel 14 Tage unter Beobachtung bleiben. Da Kliniken ohnehin unter dem Fachkräftemangel leiden - vor allem im Intensivbereich -, könnte eine große zusätzliche Herausforderung schnell zu Engpässen führen, sagt Eberenz vom Asklepios-Konzern.
Infektiologin Addo vom UKE betont, es gebe Möglichkeiten, solche Engpässe über Umschichtungen und gezieltes Anwerben von Fachkräften zu überbrücken. Außerdem habe man aus vergangenen Grippewellen Erfahrungen im Umgang mit hohen Infektionszahlen gesammelt.
Die Krankenhausgesellschaft in Baden-Württemberg sieht allerdings ein anderes Problem: Das medizinische Personal ist in besonderem Maße dem Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren. Zwar seien die Kliniken prinzipiell gut vorbereitet. "Aber wir bekommen ein Problem, wenn Ärzte und Schwestern erkranken", sagte Geschäftsführer Matthias Einwag in der "Stuttgarter Zeitung".
Notruf statt Arztbesuch
In einem sind sich Experten und Behörden einig: Wichtig ist, dass Menschen, die Sorge haben, sich mit dem neuartigen Virus angesteckt zu haben, nicht in Arztpraxen oder Notfallambulanzen gehen. Dort würden sie nur weitere Menschen anstecken. Stattdessen sollten sie sich an die lokalen Gesundheitsämter wenden oder die Notrufnummer 116 117 wählen. Dort vermittelt der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen rund um die Uhr ärztliche Hilfe. Im Zweifel kommt Fachpersonal dann zu einem Hausbesuch vorbei - das kann helfen, eine mögliche Weiterverbreitung einzudämmen.
Neuinfektionen mit Coronavirus in Deutschland
tagesschau 17:00 Uhr, 26.02.2020, Jens Eberl, WDR
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