
Nach der Bürgerschaftswahl Hamburg ist nicht das größte CDU-Problem
Stand: 23.02.2020 23:59 Uhr
Die SPD gewinnt eine Wahl - doch ihre Probleme im Bund bleiben. Weitaus schlimmer aber ist der Zustand der CDU. Führungslos, orientierungslos - "irrlichternd", sagt ein führender Christdemokrat. Die CDU ringt um Haltung.
Eine Analyse von Wenke Börnsen, tagesschau.de
Verkehrte GroKo-Welt: Die SPD gewinnt eine Wahl. Die SPD hat auch ihre Führungsfrage fürs Erste geklärt. Die SPD macht eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Bund und Ländern von Inhalten abhängig. Und die SPD hat eine klare Haltung gegen rechtsaußen, gegen die AfD.
Verglichen mit der CDU steht die SPD damit gerade ziemlich komfortabel da - zumindest auf den ersten Blick.
SPD gewinnt Bürgerschaftswahl in Hamburg
tagesschau 09:00 Uhr, 24.02.2020, Claudia Drexel, NDR
Maximaldistanz zwischen Hamburg und Berlin
Dass der Wahlsieg an der Elbe viel damit zu tun hat, dass die neue Parteispitze um Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken eben nichts damit zu tun hat - geschenkt. Die Hamburger Wahlkämpfer um Scholz-Nachfolger Peter Tschentscher hielten die Neuen auf Distanz und sich so die Misere der Bundespartei bestmöglich vom Hals. Die Botschaft: So geht Wahlsieg. Olaf Scholz, Ex-Hamburger Wahlsieger und unterlegener Bewerber um den Parteivorsitz, freut's. Er sei "super glücklich", sagt er um kurz nach 18 Uhr in der ARD. Das ist Scholz-Sprech für pure Euphorie.
Zwar hatte Scholz vor fünf Jahren noch einige Prozentpunkte mehr geholt - aber darüber redet heute niemand. Warum auch? Die Hamburger SPD schafft ein Ergebnis nahe der 40-Prozent-Marke - Wahnsinn.
Der Wahlsieg in Hamburg ist ein psychologisch wichtiges Erfolgserlebnis für die gesamte SPD. Mehr aber auch nicht. Die neuen Parteichefs wirken schwach, die innerparteilichen Gräben tief, es gibt mehrere Machtzentren mit teils konträren Vorstellungen zum Kurs der Partei. Und dann ist da noch das chronische Umfragetief - bei 16 Prozent dümpelt die Partei derzeit bundesweit.
Chaostage bei der CDU
Trotz eigener Baustellen blickt die SPD gerade mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Beunruhigung auf den Koalitionspartner. Da ist eine gescheiterte Parteichefin auf Abruf, die ohnmächtig versucht, den Laden zusammenzuhalten - was sie schon vor ihrem angekündigten Rückzug nicht geschafft hat und ja auch deshalb hingeworfen hat. Da ist ein etwas bizarr anmutendes NRW-exklusives Kandidaten-Schaulaufen im Anfangsstadium - es geht um Macht und irgendwie auch um Merkel - ihren Mitte-Kurs und ihren Job als Kanzlerin. Und inmitten dieses Führungsvakuums versucht die CDU, existenzielle Grundsatzfragen zu klären: Wie hält sie es mit Linkspartei und AfD? - veranschaulicht am Beispiel Thüringen.
"Irrlichternde Union"
Nein, bei der CDU geht es in diesen Tagen um weit mehr als um Hamburg - zum Leidwesen der dortigen Wahlkämpfer. Die bekommen nur die Quittung für die chaotische Orientierungslosigkeit der immer noch größten deutschen Volkspartei. Gerade noch zweistellig bleibt die CDU in Hamburg - in normalen Zeiten würde jetzt vielleicht die Parteichefin die Verantwortung übernehmen - aber die Zeiten sind nicht normal bei der CDU, und es gibt auch keine Parteiführung mehr, die zurücktreten könnte. Es gibt nur ein Brodeln, das immer stärker wird.
Von einer "irrlichternden Union" spricht Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und fordert seine Partei auf, jetzt so schnell wie möglich die offenen Fragen in Berlin klären. Dazu zähle vor allem die Führungsfrage, aber auch der weitere Kurs mit Blick auf Thüringen. Die CDU gebe ein "Bild der Führungslosigkeit" ab, beklagt auch der saarländische Regierungschef Tobias Hans.
Kurz: Bei der CDU ist richtig Druck im Kessel.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak spricht von einem bitteren Tag für die CDU
tagesthemen 22:56 Uhr, 23.02.2020
Komplizierte Wirklichkeit vs. Parteilinie
Eingemauert zwischen zwei Unvereinbarkeitsbeschlüssen steckt die CDU in der strategischen Klemme. Kein Pakt mit Linkspartei oder AfD, schreibt die Berliner Parteispitze dem Landesverband vor und torpediert mit dieser pauschalen Gleichsetzung und der rigorosen Auslegung des Kooperationsverbots jede Lösung der Regierungskrise - zuletzt am Tag vor der Hamburg-Wahl. Damit verschließt sich die Bundes-CDU der komplizierten politischen Wirklichkeit in den ostdeutschen Bundesländern und lässt die Landesverbände mit dem Problem allein.
Dahinter dürfte auch die Angst stecken: Öffnet die CDU jetzt die Tür nach links, dann bröckelt bald auch die Mauer nach rechtsaußen. Zumal in den in den ostdeutschen CDU-Verbänden immer wieder Stimmen zu hören sind, die nichts Verwerfliches an einer Zusammenarbeit mit der AfD finden - zuletzt aus Sachsen-Anhalt, wo nächstes Jahr gewählt wird.
Bei der CDU geht es in diesen Tagen und Wochen also ums Ganze: um Grundsätzliches, Grundwerte, Glaubwürdigkeit. Schon für eine starke Parteiführung ein Kraftakt, eine schwache ist daran gescheitert - und inmitten eines Führungsvakuums ein durchaus gefährliches Unterfangen.
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