
Urteil des OLG Stuttgart Haftstrafe für IS-Rückkehrerin
Stand: 05.07.2019 16:19 Uhr
Erstmals ist eine deutsche IS-Rückkehrerin verurteilt worden: Sabine S. muss fünf Jahre in Haft. Der Richterspruch könnte richtungsweisend für künftige Prozesse sein.
Von Claudia Kornmeier und Lea Schulze, ARD-Rechtsredaktion
Es ist das erste Urteil gegen eine IS-Rückkehrerin: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat Sabine S. wegen der Mitgliedschaft bei der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Angeklagte war vor einem guten Jahr nach Deutschland zurückgekehrt und kam kurz darauf in Untersuchungshaft.
Das Urteil stützt sich darauf, dass die Deutsche einen IS-Propaganda-Blog betrieben hat. Dort veröffentlichte sie zum Beispiel einen Text mit der Überschrift "Köpfchen ab" sowie Fotos von Hinrichtungen und Waffen. Außerdem hat sie dem IS geholfen, gewaltverherrlichende Propaganda-Videos im Internet zu verbreiten.
"Massiv" Propaganda betrieben
Im Dezember 2013 ist die Deutsche Richtung Syrien aufgebrochen, um sich der Terrormiliz anzuschließen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft hat die heute 32-Jährige einen ihr bis dahin unbekannten IS-Kämpfer aus Aserbaidschan nach islamischem Ritus geheiratet. Sie führte für ihn den Haushalt und zog die gemeinsamen Kinder auf - aber nicht nur.
"Sabine S. hat massiv propagandistisch für die Mitgliedschaft beim IS geworben, sich in die bestehende Kultur eingegliedert, Hinrichtungen beigewohnt und mit ihrem Mann, einem hochrangigen Kämpfer, den IS repräsentiert", sagte Matthias Merz, der Sprecher des Oberlandesgerichts Stuttgart. Von einer bloßen Haushaltsführung könne da keine Rede sein.
Claudia Kornmeier, SWR, mit Informationen zum Prozess gegen eine IS-Rückkehrerin
tagesschau 12:00 Uhr, 05.07.2019
Sabine S. gab sich unwissend
Mit unbewegter Miene verfolgte Sabine S. die fast dreistündige Urteilsverkündung. Auch als aus dem Abschiedsbrief an ihre Kinder vorgelesen wurde, zeigte sie keine Gefühlsregung.
Ausführlich eingelassen hatte sie sich beim Prozessauftakt im Mai. Nach Syrien sei sie gereist, um dort Verletzten und Waisenkindern zu helfen. Von den Hinrichtungen sei sie geschockt gewesen. Das Schreiben auf ihrem Internetblog habe ihr geholfen, das Erlebte zu verarbeiten. Ob der Mann, den sie in Syrien geheiratet hatte, dem IS oder anderen Rebellen angehörte, habe sie zunächst nicht gewusst.
Diesen Ausführungen wollte das Gericht keinen Glauben schenken. Sabine S. habe von sich selbst ein Bild des Opfers gezeichnet, doch ihren Handlungen sei ein freier Entscheidungswille vorausgegangen, sagte der Vorsitzende Richter Herbert Anderer in der Begründung des Urteils.
Ein Urteil mit möglicher Signalwirkung
Gerichtssprecher Merz geht davon aus, dass das erste Urteil gegen eine deutsche IS-Rückkehrerin Strahlungswirkung haben wird. Die Anklage stützt den Vorwurf der IS-Mitgliedschaft nämlich erstmals auch darauf, dass Sabine S. mit ihrer Familie ein Wohnhaus von IS-Flüchtlingen "besetzt" haben soll. Damit habe sie einen Beitrag zur Sicherung des Herrschaftsanspruchs der Terrormiliz geleistet, so die Bundesanwaltschaft.
Der Verteidiger von Sabine S., Martin Heising, hält diese Annahme für falsch, sagt aber trotzdem: "Grundsätzlich ist das Urteil fair. Auch meine Mandantin ist zufrieden." Dennoch werde er gegen das Urteil in Revision gehen, "weil wir nicht wünschen, dass sich diese Rechtssprechung verfestigt, dass jetzt Rückkehrerinnen, die mit IS-Kämpfern verheiratet waren reihenweise verurteilt werden können, weil sie in besetzten Häusern gewohnt haben oder weil sie Waffen zur Selbstverteidigung besessen haben".
Haft im Irak wurde angerechnet
Bei der Strafzumessung hat das Gericht zugunsten von Sabine S. berücksichtigt, dass sie zuvor nicht vorbestraft war, sich weitgehend geständig zeigte und sich inzwischen von dem Gedankengut des IS distanziert und bereits an einer Ausstiegsberatung teilgenommen hat. Zu ihren Lasten ging, dass sie sich über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren an der Organisation beteiligt hatte und bis zuletzt auf ihrem Blog für den IS warb.
Sabine S. wird eine siebenmonatige Haft im kurdischen Erbil teilweise angerechnet. Das Gericht begründete dies mit den schlechten Bedingungen, denen S. mit ihren beiden Kleinkindern dort ausgesetzt war: Sie lebten mit 60 Frauen und ihren Kindern in einem Raum. Pro Familie gab es lediglich eine Decke, keine Matratzen und keine Heizung, außerdem waren ihre Kinder immer wieder Gewaltausbrüchen der Mitinhaftierten ausgesetzt.
Sollte das Urteil gegen sie rechtskräftig werden, dürfte dies die Strafverfolgung gegen deutsche IS-Rückkehrerinnen, bei der die Beweislage oft schwierig ist, deutlich erleichtern. Zumal der Bundesgerichtshof bereits angedeutet hatte, dass es für den Vorwurf der IS-Mitgliedschaft wohl nicht ausreichen dürfte, wenn eine Frau den Haushalt geführt und die Familie versorgt hat.
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