
Ladenöffnungen Endlich wieder Kundschaft
Stand: 20.04.2020 18:36 Uhr
In vielen deutschen Städten haben Läden wieder geöffnet, so auch in der Breiten Straße in Mainz. Bei einigen Inhabern ist die Freude riesig, anderen fehlte die Zeit, sich vorzubereiten.
Von Peter Sonnenberg, SWR
Es ist 10.32 Uhr, als die Ladenglocke an der Tür zum ersten Mal erklingt. Nein, eine gute halbe Stunde dauerte es in normalen Zeiten nie, bis der erste Kunde den Modeladen Psilon betritt. Aber Petra Robben verursacht der Ton eine Gänsehaut, denn es ist nicht nur die erste Kundin an diesem Montagmorgen, sondern die erste seit fünf Wochen. Die Stammkundin kauft sogar direkt einen Rock, den sie im Schaufenster gesehen hat.
Die Breite Straße in Mainz, die quer durch den Stadtteil Gonsenheim geht, hat in den vergangenen Wochen ein trauriges, unbelebtes Bild abgegeben. Gestern, wie auf Bestellung im schönsten Sonnenschein, haben fast alle Geschäfte wieder aufgemacht und nach und nach kommen die ersten Kunden.
Debatte um weitergehende Öffnungen
tagesthemen 22:45 Uhr, 20.04.2020, Martin Schmidt, ARD Berlin
Große Freude über ersten Verkauf
Petra Robben führt das Psilon. Dass die erste Kundin den Rock gleich gekauft hat, freut sie - möglicherweise ein bisschen mehr, als bei den vielen anderen Röcken, die sie in ihrem Leben schon verkauft hat.
Die Gonsenheimerin hat den Laden seit 44 Jahren. "Damals, als man die Lira abgewertet hat, war auch schon eine schwere Zeit", sagt sie, denn sie bezieht ihre Ware ausschließlich aus Italien. Das was jetzt passiert, sei aber viel schlimmer. Es sei nicht leicht, das finanziell zu überleben. Aber sie wäre in noch größeren Schwierigkeiten, wenn nicht ihr Vermieter von sich aus auf zwei Monatsmieten verzichtet hätte, sagt sie.
Das Glück hat Cornelia Becht vom Blumenladen Zaubernuss nicht. Ihre Unkosten laufen weiter. "Ob wir es schaffen, wird mir der Steuerberater am Jahresende sagen", sagt sie. Wie einige ihrer Nachbarn konnte sie, als der Laden geschlossen war, per Telefon und Internet einiges verkaufen. Sie hat es dann geliefert oder ihren Kunden über das Hoftor gereicht.
"Doch wer braucht zurzeit schon Blumen für seine Hochzeit? Konfirmationen, Jubiläen - alles verschoben." Und selbst Trauerfeiern finden nur im kleinsten Kreis statt. Da verkaufe man halt nicht zwanzig Kränze, sondern nur fünf.
Hier und da wird improvisiert
Auch in der Zaubernuss sind alle froh, dass es jetzt endlich weitergeht, aber vielleicht war es dennoch etwas zu früh. Der Ladentisch steht jetzt mitten im Raum, um die Kundschaft vom Personal abzutrennen. Die Plexiglasscheibe fehlt noch.
Zwei Mitarbeiterinnen von Frau Becht sind Risikopatienten. "Natürlich entscheidet bei uns noch jeder selbst, ob er mit Schutzmaske arbeiten möchte. Und wir müssen darauf achten, dass alle die empfohlenen Abstände einhalten." In der Viertelstunde, die das Gespräch mit Frau Becht dauert, gehen vier Blumensträuße über den Tisch und eine Bestellung kommt per Telefon.
Fünfzig Meter weiter rüttelt eine Mutter an der Tür des Kinderladens Alleleut, doch der ist zu. Am Telefon erzählt Besitzerin Jennifer Hahn, dass ihr das alles zu schnell kam. Sie und ihre Kollegen hätten Kinder und keine Betreuung. Sie wollen jetzt erstmal abwarten, wie sich das weiterentwickelt.
Am Anfang der Breiten Straße gabelt sich die Straße und auf der "Insel" steht die evangelische Kirche. Pfarrer Andreas Nose freut sich mit seinen Nachbarn. Mit denen, die jetzt wieder einkaufen können, aber auch mit den Geschäftsleuten, die endlich wieder Geld verdienen.
Pfarrer sucht nach praktikabler Lösung
Nose würde gerne wieder Gottesdienste mit Menschen feiern. Die Stühle für die Gläubigen hat er schon auf 1,50 Meter Abstand gerückt, falls es bald wieder los geht. "Im Moment fände ich es selbst noch etwas zu früh. Wen sollten wir denn reinlassen und wen nicht", fragt er. "Wir bräuchten ja Voranmeldungen oder müssten mehrere Gottesdienste nacheinander feiern."
Gegenüber ist der Kinderbuchladen Nimmerland. Drei Verkäuferinnen sind da und immerhin sechs Kunden - vier davon sind unter zehn Jahre alt. "Wir hatten uns schon vor Corona mit Onlinehandel beschäftigt", sagt Inhaberin Susanne Lux. "Das hat uns jetzt vor Schlimmerem bewahrt."
Mit der schon bestehenden Infrastruktur konnte Nimmerland weiterverkaufen. Nicht ganz die Menge wie sonst, aber Eltern kleiner Kinder merken schnell wie wichtig Lesestoff ist, wenn man zuhause bleiben muss. "Die Gonsenheimer waren außerdem extrem solidarisch", erzählt sie weiter. "Wir haben viele Rückmeldung bekommen, Ermunterung und eben die Bestellungen, die die Leute bei einem kleinen Laden wie uns machen und nicht beim Mega-Onlinehändler."
Nicht alle können übers Netz verkaufen
Doch vom neu erblühten Onlinehandel haben gerade hier in der Breiten Straße nicht alle was. Da ist Brigitte Fink aus der Weinstube, die noch nicht öffnen darf und sagt, dass sie nur dann eine Chance habe, wenn alle anderen sich an die Regeln halten und die Infektionszahlen nicht wieder steigen.
Oder Ladenbesitzer wie Petra Robben vom Psilon. Ihr ist die Rente näher als der Einstieg in den Cyberhandel. "Ich habe kurz darüber nachgedacht, jetzt aufzuhören", sagt sie, "aber so kann man doch nicht das Arbeitsleben beenden. Eins hat mich ganz besonders gestört, in den Wochen, in denen wir gezwungen waren, zu geschlossen zu bleiben: Ich war es gewohnt Probleme selbst anzugehen. Das konnte ich diesmal nicht. Ich konnte nur abwarten und das war schrecklich."
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