
Nach den Landtagswahlen Sieger mit Schmerzen
Stand: 02.09.2019 00:00 Uhr
Hauptsache, die AfD wurde auf Abstand gehalten: Diesen Tenor bemühen CDU und SPD nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Dabei mussten beide Parteien massive Verluste hinnehmen.
Von Eckart Aretz, tagesschau.de
Die CDU: minus 7,4 Prozentpunkte in Brandenburg, minus 7,3 in Sachsen. Die SPD: minus 5,7 Prozentpunkte in Potsdam, minus 4,7 in Dresden. Nimmt man die nackten Zahlen, müsste am Wahlabend tiefe Nachdenklichkeit in den Zentralen der GroKo-Parteien herrschen.
Und doch schafften es führende Vertreter, irgendwie Erleichterung zu verströmen. Die CDU richtete sich daran auf, stärkste Partei in Sachsen geworden zu sein, die SPD wärmte sich an ihrem Erfolg in Brandenburg. Und beide hoben hervor, dass die AfD eben nicht an ihnen vorbeigezogen sei, wonach es in den Vorwahlumfragen zwischenzeitlich durchaus ausgesehen hatte. Man ist bescheiden geworden in Berlin.
Die Reaktionen der Bundesparteien auf die bisherigen Hochrechnungen aus Sachsen und Brandenburg
tagesschau 20:00 Uhr, 01.09.2019, Uli Meerkamm, ARD Berlin
Wie auf die AfD reagieren?
Was für die Auftritte auf Wahlpartys und in TV-Studios reicht, dürfte in den Tagen danach einer nüchternen Analyse und möglicherweise neuen Debatten weichen. Denn CDU und SPD müssen Antworten finden auf ihre Schwäche und den massiven Stimmenzuwachs der Rechtspopulisten.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der im Land auf Beliebtheitswerte kommt wie sonst nur Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz) und Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg) dürfte seine Strategie als Blaupause anpreisen: klare Absage an ein Bündnis mit AfD und Linken, zugleich eine starke Betonung des konservativen Profils der Union - zum Beispiel in der Debatte um den Ausstieg aus der Kohle.
Ob das in der Union, wo gerade die CSU versucht, sich ein grüneres Image zu geben, mehrheitsfähig ist? Fragezeichen. Die Schwesterparteien stehen in einem Dilemma: Wenden sie sich stärker den Konservativen zu, die Angela Merkels Kurs der Mitte als konturlose Beliebigkeit ablehnen, laufen sie Gefahr, eben in der Mitte zu verlieren. Setzt die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer Merkels Kurs fort, verliert sie Wähler an die AfD.
Kramp-Karrenbauer unter Beobachtung
Das kritische Echo, das Kramp-Karrenbauers Versuche fanden, andere Akzente zu setzen, zeugt von dieser Krux. Überhaupt steht die Parteivorsitzende nach einigen, in der Partei mindestens als unglücklich empfundenen Auftritten unter wachsender Beobachtung - Stichworte: Rezo, Unisex-Toiletten, Maaßen. Kann Kramp-Karrenbauer Kanzlerin? Die Frage wabert unterschwellig durch die Partei.
Dass Kretschmer im Wahlkampf dankend auf große Unterstützung aus Berlin verzichtete, stärkt diesen Effekt nur. Am Wahlabend ließ er es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass das Ergebnis "viel mit Berlin zu tun" habe. Es dürfte nicht der letzte Hinweis in dieser Sache bleiben. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, der Ende Oktober eine Landtagswahl bestehen muss, stößt regelmäßig in das selbe Horn.
Michael Kretschmer, Sächsischer Ministerpräsident, zum Ausgang der Wahl in Sachsen
tagesthemen extra 21:55 Uhr, 01.09.2019
Die SPD übt sich in Geduld
Die Genossen dagegen mögen sich damit trösten, dass es für sie ohnehin eine Zeit des Übergangs und der Neubesinnung ist. Am Wahltag endete die Frist, innerhalb derer sich Mitglieder um den Parteivorsitz bewerben konnten. Doch damit ist die Suche noch nicht beendet. Die Bewerber müssen nicht weniger als 23 Regionalkonferenzen absolvieren, einen Basisentscheid überstehen, bevor dann im Dezember ein Parteitag die neue Spitze bestimmt. Mancher Sozialdemokrat hält das inzwischen für ein reichlich überspanntes Verfahren.
Die SPD wird dadurch auf absehbare Zeit vorwiegend mit sich selbst beschäftigt sein, obwohl dazwischen noch die Landtagswahl in Thüringen ansteht und die Bilanz der Ergebnisse der Großen Koalition. Erst danach wird sich zeigen, ob die vollmundige Diagnose von Parteivize Olaf Scholz, man könne offensichtlich noch Wahlen gewinnen, auch weiter gilt - und auf welchem Niveau.
Grüne wachsen weiter
Für die Grünen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der AfD weniger drängend, sie konnten in beiden Bundesländern zulegen und sitzen demnächst möglicherweise in beiden Ländern in der Regierung. Kritiker mögen anmerken, dass der grüne Auftrieb nicht so hoch ausfiel, wie manche Umfrage und die breite Klimadebatte der vergangenen Monate vermuten ließ. Andererseits hat sich die Partei inzwischen in dem für sie lange schwierigen Umfeld in den neuen Bundesländern etabliert.
Der Schrumpfungskurs der Linken setzt sich dagegen auch in Brandenburg und Sachsen fort. Lange Zeit haftete der Partei das Etikett einer Protest- und Regionalpartei an. 7,9 beziehungsweise 8,5 Prozentpunkte Verlust lassen ahnen, dass die Partei sich nicht mehr auf ihren Erfolg in den neuen Bundesländern verlassen kann.
Die FDP schließlich, die in beiden Bundesländern klar an der 5-Prozent-Hürde scheiterte, wird an diesem Abend einmal mehr gespürt haben, wie schwierig es ist, zwischen der GroKo und den Grünen Aufmerksamkeit und Zustimmung zu bekommen. Die Partei kommt dauerhaft nicht in die Offensive, ihre Initiativen und Rezepte finden kaum Widerhall. Oppositionsschicksal einerseits, aber auch eine Frage des Personals?
Tina Hassel, ARD Berlin, zum Ausgang der Landtagswahlen
tagesschau 20:00 Uhr, 01.09.2019
AfD wächst und wächst
Umgekehrt erlebt es die AfD. Die Frage nach dem Richtungsstreit und dem Einfluss des rechtsextremen Höcke-"Flügels", Berichte über eine rechtsextreme Vergangenheit des Brandenburgischen Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz und der Mangel an sozialpolitischen Konzepten konnten der Partei wenig anhaben, als habe sie in Teflon gebadet. Ihr Stimmenanteil in Sachsen wuchs geradezu explosionsartig, in Brandenburg kräftig. Die Partei stieß damit in Dimensionen vor, in denen man bislang von "Volkspartei" sprach.
Kalbitz, der als eigentlich starker Mann des "Flügels" gilt, dürfte dieser Erfolg nur bestärken. Für die AfD könnte dies nach den Landtagswahlen eine Verschärfung des Richtungsstreits bedeuten - so wie es Björn Höcke schon vor Wochen angekündigt hat.
Das muss, wie der Wahlabend zeigt, der Partei nicht zwangsläufig schaden. Andererseits muss auch die AfD realisieren: Wenn es, wie in Sachsen und Brandenburg, zu einer starken Polarisierung kommt, werden mehr Wähler mobilisiert - und machen ihr Kreuz doch bei den etablierten Parteien.
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