
Reaktion auf Giftanschlag Steht Nord Stream 2 vor dem Aus?
Stand: 03.09.2020 10:27 Uhr
Die Bundesregierung sucht nach einer geeigneten Antwort auf die Vergiftung des Kremlkritikers Nawalny. Es mehren sich die Forderungen nach einem Ende des Gasprojektes Nord Stream 2. Zieht die Kanzlerin mit?
Von Angela Ulrich, ARD-Hauptstadtstudio
Wolfgang Ischinger ist einer, der sich sein ganzes politisches Leben lang für gute Beziehungen zwischen Russland und Deutschland eingesetzt hat. Jetzt, mit dem Fall Nawalny, seufzt der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz resigniert: "Ein Tiefpunkt, ein neuer Tiefpunkt, leider!"
Jetzt müsse Deutschland, müsse die EU handeln. Gemeinsam. Geschlossen in Richtung Moskau. Und zwar über die sonst häufig eher flauen diplomatischen Schachzüge hinaus: Botschafter einbestellen, Diplomaten ausweisen. "Ich denke, wenn wir tatsächlich mit den Partnern gemeinsam eine klare Botschaft nach Moskau schicken wollen, dann müssen auch die Wirtschaftsbeziehungen auf die Tagesordnung."
Merkel verlangt im Fall Nawalny Aufklärung von Russland
tagesschau 12:00 Uhr, 03.09.2020, Marie von Mallinckrodt, ARD Berlin
Stimmen gegen Nord Stream 2 mehren sich
Konkret heißt das für Politiker diverser Parteien: Das Projekt Nord Stream 2 zwischen Russland und der EU muss endgültig gekippt werden. Die geplante Gas-Pipeline durch die Ostsee dürfe nicht fertig gebaut werden, sagt Unions-Außenpolitiker Norbert Röttgen. "Wenn es jetzt zur Vollendung des Gasprojektes Nord Stream 2 käme, dann wäre das die maximale Bestätigung und Ermunterung für Wladimir Putin, genau diese Politik fortzusetzen, denn er wird ja sogar dafür noch belohnt."
Auch in der Opposition mehren sich die Stimmen, Nord Stream 2 jetzt abzubrechen. Für FDP-Chef Christian Lindner ist klar: "Ein Regime, das Giftmorde organisiert, das ist nicht ein Gegenüber für große Kooperationsprojekte, auch nicht für Pipeline-Projekte." Doch die Kanzlerin hat bisher immer an Nord Stream 2 festgehalten. Es geht - unter anderem - auch um Arbeitsplätze in ihrem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern.
Bundesregierung will einheitliche Antwort der EU
Von der Linken kommt die Forderung, zunächst auf die Kooperation mit Moskau zu setzen. "Wenn Geheimdienste im Spiel sind, dann glaube ich nicht viel, da kann alles Mögliche passiert sein", sagt der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete und Biowaffen-Experte Jan van Aken. "Deswegen ist das Wichtigste jetzt: Transparenz und nochmal Transparenz."
Die gesamte Bundesregierung will jetzt erstmal eine einheitliche Linie innerhalb der EU erreichen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus lehnt sich dabei weit aus dem Fenster: "Das ist jetzt auch ein Lackmustest für die europäische Politik, ob wir in der Lage sind, eine einheitliche Position gegenüber Ländern wie Russland aufzubauen."
"Wir können jetzt keine Mauer hochziehen"
Einheitlichkeit ja, klare Kante auch, sagt unterdessen der Jurist und Diplomat Wolfgang Ischinger. Allerdings dürfe auch keine Total-Blockade Russlands gefordert werden. "Wir brauchen Russland in der Klimapolitik, in der Ukraine-Politik, in vielen anderen Bereichen. Wir können jetzt keine Mauer hochziehen zwischen dem Westen und Russland. Das wäre ein Schritt - oder mehrere Schritte - zu weit."
Unterdessen vermeldet die Berliner Charité, der Gesundheitszustand des Kremlkritikers sei weiter ernst. Er liege immer noch auf der Intensivstation, werde künstlich beatmet - und bewacht.
Der Fall Nawalny - neue Reaktionen, neue Forderungen
Angela Ulrich, ARD Berlin
03.09.2020 09:15 Uhr
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