
Priester-Ausbildung "Aus Machtgefälle ergibt sich Missbrauch"
Stand: 17.02.2019 01:52 Uhr
Immer weniger Männer in Deutschland wollen Priester werden. In ihrer Ausbildung reden sie auch über die Missbrauchsskandale in ihrer Kirche und stellen fest, dass sich das Machtbild der Kirche ändern muss.
Von Sebastian Kisters, HR
Christian Jager hat Postkarten in seinem Zimmer im Priesterseminar aufgestellt. Auf einer ist zu lesen: "Steh' zu den Dingen, an die Du glaubst. Auch, wenn Du alleine dort stehst." Auf einer anderen: "Halt's Maul. Ich bin voll nett!" Das sind nicht bloß Postkartensprüche, sondern auch Antworten. Der 22-Jährige will Priester werden und wird außerhalb der Mauern des Priesterseminars oft gefragt: "Was willst Du denn in diesem Verein?"
Wer etwas über den Zustand der katholischen Kirche wissen möchte, dem helfen zwei Zahlen. Neun Bistümer zusammen schicken derzeit gerade einmal 25 junge Männer ins Priesterseminar am Rande von Frankfurt am Main. Hier versammeln sich vor allem junge Männer aus dem Norden der Republik. Im Süden, wo es mehr Katholiken gibt, sehen die Zahlen für die katholische Kirche besser aus. Doch auch das ändert nichts am Trend.
Nur noch 470 Priester-Anwärter in Deutschland
Vor 25 Jahren gab es laut Deutscher Bischofskonferenz noch 2138 Priester-Anwärter in Deutschland. Aktuell sind es nur noch rund 470. Die Hälfte davon wird die achtjährige Ausbildung nicht beenden – das zeigen Erfahrungswerte. Die katholische Kirche hat ein existenzielles Nachwuchsproblem.
Für Menschen da sein
Und doch: "Kaum zu glauben, es gibt sie noch…", schreiben die Priester-Anwärter auf der Homepage des Seminars von St. Georgen. Wer sie fragt, warum sie hier sind, bekommt Geschichten aus ihren Ausbildungspraktika. Felix Lamberti war zuletzt auf einer Kinderstation im Krankenhaus. "Da kommen nicht nur Kinder, auch Eltern. Von denen bekomme ich viel Dankbarkeit - zum Beispiel nur, wenn ich mit ihnen eine Runde Uno spiele. Da springt etwas über. Das treibt mich an." Oder da ist Matthias Kremer. Er war bei der Obdachlosenhilfe in Trier. "Menschen in die Augen zu schauen und beizustehen, das ist einer der schönsten Momente."
Sollten sie Priester werden, seien sie an den "Schnittstellen des Lebens" für Menschen da, sagt Christian Jager. Bei Taufe, Hochzeit und Tod, bei größtem Glück und größtem Leid. Das mache natürlich keine Schlagzeilen und sei doch so wichtig. Darum ist er "in diesem Verein".
Neben dem Studium zahlreiche Gespräche
Fünf Jahre lang sind die Priesteranwärter in St. Georgen. Der Alltag im Seminar sieht so aus: Neben dem Theologie-Studium gibt es Gespräche, Diskussionsrunden über Beruf und Berufung, Gott und die Welt - über Macht und Missbrauch.
Alle hier brauchten Empfehlungsschreiben aus Gemeinden oder Sportvereinen, um die Ausbildung zum Priester beginnen zu dürfen. Manche Bistümer verlangen auch Gespräche bei Psychologen - Konsequenz aus dem tausendfachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche.
Pater Herbert Rieger ist Leiter des Priesterseminars. Er sagt, Ziel sei es, früh herauszufinden, ob Menschen emotional reif seien, ob sie eigene Bedürfnisse kennen würden und wüssten damit umzugehen. "Als Leiter habe ich Verantwortung für einzelne, aber auch für Gemeinden."
"Was Deutschland bewegt": Das Leben im Priesterseminar
tagesthemen 22:15 Uhr, 04.02.2019, Sebastian Kisters, HR
"Aus Machtgefälle ergibt sich Missbrauch"
Im Speisesaal des Seminars hängt ein Plakat. Die angehenden Priester haben darauf geschrieben, worüber sie mit ihren Ausbildern sprechen möchten. Es geht etwa ums Priesterbild. Viele hier wollen nicht mehr die Herren Pfarrer sein. "Ich glaube, das Machtbild in der Kirche ändert sich. Aus Machtgefälle ergibt sich Missbrauch. Daran müssen wir als Kirche arbeiten, dass sich dieses Machtgefälle abbaut", sagt Matthias Kremer. Er meint es nach oben wie unten.
Gläubigen gegenüber will er nicht mehr als der Herr Pfarrer mit stets erhobenem Zeigefinger auftreten. Andererseits hat er auch ein Problem damit, seinem Bischof Gehorsam zu schwören.
Weiheamt für Frauen, Homosexualität und Zölibat
Ein großes Thema derzeit unter Katholiken. Namhafte Theologen sprechen in einem Offenen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, von einer vormodernen Ordnung der Kirche. Die Unterzeichner fordern außerdem die Überhöhung des Weiheamtes abzuschaffen und es für Frauen zu öffnen, Homosexualität nicht weiter zu ächten und den Zölibat nicht vorzuschreiben. Der Leiter der Theologischen Hochschule St. Georgen, wo die Priester-Anwärter studieren, gehört auch zu den Unterzeichnern.
Im Priesterseminar erklären die meisten Männer allerdings, sie würden auch allein leben wollen, wenn es die Kirche nicht von ihnen verlangen würde. Christian Jager sagt, er wolle ganz für die da sein, die ihm anvertraut werden.
Und doch: Hinter den Türen im Priesterseminar wohnen auch Zweifel. Wie bei Christian Jager: "Schaffe ich das, dass mich niemand in den Arm nimmt? Keine Zärtlichkeit? Das ist eine Frage, die mich manchmal belastet." Wer Matthias Kremer fragt, ob er sicher sei, immer allein leben zu können, bekommt zur Antwort: "Nein!" Und auch Felix Lamberti sagt, er habe sich erst einmal nur auf einen Weg gemacht und sei nicht sicher, wie weit er ihn trage.
Die Hälfte aller Priester-Anwärter wird nicht bis zur Weihe durchhalten. Die meisten, weil sie sich verlieben.