
Neue SPD-Doppelspitze Kühnert kritisiert "Trommelfeuer"
Stand: 02.02.2020 21:05 Uhr
Parteivize Kühnert hat Kritik am neuen SPD-Führungsduo zurückgewiesen. Die Doppelspitze stehe von Beginn an unter Trommelfeuer. Doch viele Sozialdemokraten trauen offenbar anderen mehr Führungsqualitäten zu.
Kevin Kühnert, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender und Chef der Jungsozialisten, hat das SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor einem "Trommelfeuer" an aus seiner Sicht ungerechtfertigter Kritik in Schutz genommen.
"Früher gab es mal die eherne Regel, dass alle, die neu in einem Amt sind, 100 Tage Zeit haben, sich bewähren zu können", sagte er im Bericht aus Berlin. Das neue SPD-Führungsduo habe "noch nicht einmal 100 Sekunden" Zeit bekommen. "Das Trommelfeuer ging Anfang Dezember los."
Kevin Kühnert, stellv. Parteivorsitzender SPD, zu zukünftigen Vorhaben der SPD
Bericht aus Berlin, 02.02.2020
Wahlkampf in Hamburg ohne Führungsduo
Dass sich Esken und Walter-Borjans noch nicht profilieren konnten, daran trägt aber auch die eigene Partei eine Mitschuld. Im Vorfeld der Bürgerschaftswahl in Hamburg Ende des Monats spielt das Führungsduo offenbar keine Rolle. Die Hamburger SPD hat sie mehr oder weniger aus dem Wahlkampf ausgeladen. Die Chancen, dass der Erste Bürgermeister ein Sozialdemokrat bleibt, stehen gut. In einer aktuellen NDR-Umfrage hat sich die SPD von den Grünen abgesetzt.
Offiziell heißt es, man habe die SPD-Spitze ja gar nicht einplanen können, weil lange nicht klar war, wer die Mitgliederbefragung gewinnen würde. Hört man sich aber bei Wahlkampfveranstaltungen um, wird deutlich: Wirklich vermisst werden die beiden nicht. Auf die Frage, ob die Vorsitzenden nicht auch in der Hansestadt positiv wirken könnten, antwortet zum Beispiel der Hamburger Jürgen Warndke: "Das ist die große Frage. Das Risiko war uns zu groß, deswegen haben wir gesagt: Bleibt lieber in Berlin."
Kühnert verteidigt die neue Parteispitze
Doch auch in der Hauptstadt sind die beiden Neuen nicht unumstritten. Sie müssen noch ihren Platz finden, sagen die, die es gut mit ihnen meinen. Sie können es nicht, sagen die anderen.
Wie Kühnert halten sich die Spitzengenossen in der Hauptstadt öffentlich in ihrer Kritik zurück. Niemand will vor Publikum Streit anfangen. Denn das, so hat es die Partei intern analysiert, komme beim Wähler noch schlechter an als schlechtes Personal. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aber an vielen Stellen, besonders in der Kommunikation und Beratungsfähigkeit gebe es deutliche Mängel.
Darauf angesprochen bleibt dem Fraktionschef Rolf Mützenich nur Galgenhumor. Er spreche sich täglich, stündlich, minütlich mit den beiden Vorsitzenden ab, erklärt der Rheinländer mit einem Lächeln im Gesicht vor der Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag.
Steuerdiskussion nur ein Missverständnis?
Auch inhaltlich scheinen Esken und Walter-Borjans nicht immer auf einer Linie. Das Thema Steuern steht dafür beispielhaft. Während Esken im Bayerischen Rundfunk erklärt, sie halte Steuerentlastungen für einen "gefährlichen Vorschlag", befürwortet Walter-Borjans zum Beispiel den Vorschlag der SPD-Fraktion, die Soli-Abschaffung vorzuziehen.
Kühnert erkennt dabei nur auf den ersten Blick einen Widerspruch. "Es ging darum zu sagen, dass die Steuerlast insgesamt sicherlich nicht zu hoch ist." Es komme auf die Verteilung an. Man solle aufhören, immer nur auf den Spitzensteuersatz zu schauen. "Was die Leute sich anschauen sollten, ist der Durchschnittssteuersatz", meint der Juso-Vorsitzende. "Das gibt Auskunft darüber, wie es um Steuergerechtigkeit bestellt ist."
Union blockiere Forderungen der SPD
Kühnert erneuerte im Bericht aus Berlin die Forderungen nach einer Vermögenssteuer, einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde und Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro innerhalb der kommenden zehn Jahre im Bereich der erneuerbaren Energien. Die Lust von CDU/CSU, darüber zu reden, scheine jedoch "wenig ausgeprägt" zu sein. "Die Union blockiert", sagte Kühnert.
In den kommenden Wochen werde sich entscheiden, ob es eine gemeinsame Grundlage gibt. "Dass das zäh ist mit der Union, ist keine neue Erkenntnis mit diesem Führungsduo. Sondern wir haben es halt mit einem Koalitionspartner zu tun, der tickt sehr anders als wir." Das aber dürfe man nicht Esken und Walter-Borjans "in die Schuhe schieben", sagte Kühnert. "Das ist ein bisschen phantasielos".
Der Fraktionschef kann punkten
Trotz seiner Rückendeckung deuten die Äußerungen der vergangenen Wochen darauf hin, dass sich die Machtzentren bei den Sozialdemokraten verschoben haben. Weg vom Willy-Brandt-Haus und den Vorsitzenden, hin in den Otto-Wels-Saal im Reichstag, wo die Fraktion tagt. Egal was die beiden Parteivorsitzenden zuletzt gefordert haben - wirklichen Widerhall in der eigenen Partei gab es kaum. Der Soli-Vorschlag aus der Fraktion findet aber direkt auch die wichtige Unterstützung durch den SPD-Finanzminister Olaf Scholz.
Auch so kann man deutlich machen, wer bei den Genossen das Sagen hat. Der neue starke Mann in der Partei: Fraktionschef Mützenich.
Diskussion über neue SPD-Spitze
tagesschau24 11:00 Uhr, 03.02.2020, Moritz Rödle, SR
Kommt aus Hamburg das Erfolgsrezept?
Und noch einer könnte in den kommenden Wochen überraschend wichtiger werden. Sollte die Hamburger SPD tatsächlich mit ihrem Mitte-Kurs die Führung in Hamburg verteidigen, dann könnte auch die Diskussion über den Kurs der Bundespartei wieder lauter werden. Und dann ist der bundesweit bisher unterschätzte Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher trotz sicherer Verluste plötzlich ein SPD-Wahlgewinner. Davon hat die Partei nicht mehr viele.
Mit Informationen von Moritz Rödle, SR
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