
SPD-Parteitag Weiter so - aber anders
Stand: 07.12.2019 04:07 Uhr
Irgendwie nach links soll es gehen bei der SPD, aber erstmal nicht raus aus der Großen Koalition. Beim Parteitag geht es um Aufbruch nicht Abbruch. Nach der Wahl des Führungsduos geht es heute um das Parteiprogramm.
Eine Analyse von Wenke Börnsen, tagesschau.de, zzt. Berlin
Die SPD geht reichlich pragmatisch und überraschend geschlossen in die selbstausgerufene neue Zeit. Das war nach dem innerparteilichen Sieg des Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor einer Woche nicht unbedingt zu erwarten. Denn auch wenn das Konzept "Weiter so" zwar abgewählt ist, geht es trotzdem weiter - aber irgendwie anders. "In die neue Zeit" also - das Parteitagsmotto ist nicht wirklich kreativ, so oder ähnlich klang es in den vergangenen Jahren schon öfter.
Diesmal will die SPD aber vieles anders und alles besser machen. Einfach wird das nicht, zu tief sind die Gräben in der Partei, zu orientierungslos viele Mitglieder, zu groß das Dilemma mit der GroKo.
Hatte das Duo Esken/Walter-Borjans im innerparteilichen Wahlkampf noch mit dem Ende der Großen Koalition geliebäugelt und so Hoffnungen der GroKo-Gegner geschürt und Befürchtungen der Befürworter aus dem Partei-Establishment geschürt, klang das im Leitantrag für diesen Parteitag schon sehr viel versöhnlicher. Er trägt eher die Handschrift des unterlegenen Lagers um Olaf Scholz.
Vorerst kein Ausstieg aus der Groko
Mit großer Mehrheit nahmen die Delegierten nach mehrstündiger Debatte den Leitantrag an - und das heißt auch, vorerst in der Großen Koalition zu bleiben. Mit der Union soll über Nachbesserungen gesprochen werden, dann soll der Vorstand entscheiden, ob es für den Verbleib in der GroKo reicht. Eine Frist dafür gibt es nicht. Ob die Partei nun weiter regieren will oder nicht - das bleibt für die Union weiter schwammig. Einzig der Antrag auf sofortigen Ausstieg aus dem Regierungsbündnis wurde klar abgelehnt.
SPD-Parteitag: Vorerst kein Ausstieg aus der Groko
tagesschau 20:00 Uhr, 06.12.2019, Ariane Reimers, ARD Berlin
In ihren Bewerbungsreden gingen Walter-Borjans und Esken zwar auf Konfrontationskurs zur Union, von einem ultimativen Ausstieg aus der Regierung war aber keine Rede. Da ist sie wieder - die Partei des "donnernden Sowohl-als-auch", wie es Willy Brandt immer von seiner SPD gefordert hatte.
Irgendwie nach links soll es gehen mit den beiden Neuen. Umverteilung von oben nach unten, mehr Steuergerechtigkeit, weg mit Niedriglöhnen, notfalls auch weg mit der Schwarzen Null und der Schuldenbremse, mehr Klimaschutz - weder Esken noch Walter-Borjans sind rhetorische Musketiere und irgendwie klang viel davon nach Martin Schulz und dessen Gerechtigkeitswahlkampf 2017. Das klassische Einmaleineins der Sozialdemokratie hätten sie aufgezählt, so eine führende Delegierte.
Die Skepsis an ihren Führungsqualitäten konnten die beiden Neuen nicht ausräumen, aber gewählt wurden sie trotzdem mit ordentlichen bis guten Ergebnissen - alles andere hätte die Partei auch zerrissen. Walter-Borjans erhielt mit knapp 90 Prozent ein besseres Ergebnis als Esken mit knapp 76 Prozent.
Das Votum der Basis müsse jetzt akzeptiert werden, sagt einer aus dem Scholz-Lager. Scholz selbst sicherte dem Duo die Unterstützung der ganzen Partei zu und warb zugleich eindringlich für den Verbleib in der Großen Koalition. Ebenso wie die Minister Franziska Giffey oder Hubertus Heil.
Fünf Vizechefs
Heil wurde später mit 70 Prozent zum Parteivize gewählt. Juso-Chef Kevin Kühnert erhielt 70,4 Prozent. Zunächst hatte es nach einer Kampfkandidatur zwischen beiden ausgesehen, aber die Parteiführung scheute den Streit. Lieber alle einbinden und die fragile Machtbalance auch unter den Stellvertretern austarieren. Und so wurden aus den ursprünglich nur drei Vize-Posten spontan fünf: Klara Geywitz (76,8 Prozent), Anke Rehlinger (74,8 Prozent), Serpil Midyatli (79,8 Prozent) und eben Heil und Kühnert komplettieren jetzt die Teamlösung an der Spitze, von der Generalsekretär Lars Klingbeil in Abgrenzung zum Egoshootergehabe der vergangenen Jahre gesprochen hatte. Klingbeil bleibt Generalsekretär - mit knapp 80 Prozent wurde er wiedergewählt. Esken und Walter-Borjans sind seine Chefs Nummer sieben und acht.
Mit Kühnert ist erstmals ein Juso-Chef im Parteivorstand. Die plötzliche Macht des 30-Jährigen ist einigen unheimlich. Er gilt als heimlicher Königsmacher des Duos Esken/Walter-Borjans, ohne die Unterstützung der Jusos hätten die beiden den Mitgliederentscheid womöglich nicht gewonnen. Und jetzt: Partei-Vize. Der Jubel nach seiner Rede war laut, sein Wahlergebnis ist jedoch mäßig - anders als bei der Wahl zum Juso-Chef vor zwei Wochen. Kühnert ist im engsten Führungszirkel der SPD angekommen - ein Hoffnungsträger ist er jedoch längst nicht für alle.
Nach Tag eins ihres Aufbruchs "in die neue Zeit", geht es am zweiten Tag des Parteitags um Programmarbeit. Das Sozialkonzept soll besprochen werden, darunter fällt auch eine Reform von Hartz IV.