
Kripo-Bund kritisiert Seehofer "Ein Bärendienst" für die Polizei
Stand: 07.07.2020 15:12 Uhr
Seehofers Nein zu einer Studie über möglichen Rassismus in der Polizei stößt auch bei Polizisten selbst auf Kritik. Seehofer erwecke den Eindruck, es gebe etwas zu verbergen, so BDK-Chef Fiedler in den tagesthemen. Und das sei "ein Bärendienst".
Für seine Weigerung, eine unabhängige Studie über mögliche rassistische Tendenzen bei der Polizei erstellen zu lassen, wird Bundesinnenminister Horst Seehofer auch aus den Reihen der Polizei scharf kritisiert. Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), nannte Seehofers Begründung in den tagesthemen "einigermaßen peinlich" und in sich nicht schlüssig.
Das CSU-geführte Bundesinnenministerium hatte am Sonntag erklärt, Seehofer sehe "keinen Bedarf" für eine solche wissenschaftliche Studie und begründete dies unter anderem damit, dass Racial Profiling in der polizeilichen Praxis verboten sei.
Von Racial Profiling spricht man, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale, aber ohne konkreten Anlass, kontrolliert werden. Eine Studie dazu war der Bundesregierung im März in einem Bericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz nahelegt worden.
Sebastian Fiedler, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zur Absage der Rassismus-Studie
tagesthemen 22:20 Uhr, 06.07.2020
Sicherheitsbehörden "haben nichts zu verstecken"
BDK-Chef Fiedler warf Seehofer vor, den Sicherheitsbehörden einen "Bärendienst" zu erweisen, indem er den Eindruck erwecke, es gebe "etwas zu verstecken". Es gebe aber nichts zu verstecken, betonte Fiedler.
Bei einer unabhängigen Rassismus-Studie gehe es darum, Vertrauen in der Bevölkerung in die Polizei zu gewinnen. Sollte eine solche Studie dann Probleme in der Polizei feststellen, dann hätten die Polizeibehörden selber ein Interesse daran, diese Probleme offenzulegen und "offensiv anzugehen".
GdP: Entstehung "rassistischer Denkmuster" verhindern
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betonte, es sei richtig, dass sich Seehofer in dieser Frage vor die Beamten stelle. Vize-GdP-Chef Jörg Radek sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Wenn diese Studie das Ziel hat, Rassismus in der Polizei zu untersuchen, dann lehne ich das ab." Eine Untersuchung, bei der es darum gehe, zu überprüfen, ob die Vorschriften, nach denen die Beamten kontrollierten, "hinsichtlich ihrer Bestimmtheit korrekt sind", könnte dagegen sinnvoll sein.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Frage, "was das mit Kollegen macht, wenn sie über Jahre in einem bestimmten Kiez eingesetzt sind", könnten zudem helfen, "die Entstehung rassistischer Denkmuster bei einzelnen Beamten zu verhindern", so Radek.
Grüne: Nicht ständig "nach Gefühlslage" beurteilen
Für seine Weigerung, die Studie in Auftrag zu geben, wird Seehofer von verschiedenen Seiten kritisiert. Der Tenor dabei ist meist der Vorwurf, der Minister verhindere somit eine sachliche Diskussion über die Thematik.
Man benötige eine "fundierte Faktenbasis", um zu diskutieren, statt ständig "nach Gefühlslage zu beurteilen", sagte etwa Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic. "Nur weil Racial Profiling verboten ist, heißt das nicht, dass es das nicht gibt. Deswegen finde ich das Signal an die Öffentlichkeit schon verheerend, dass man nichts hören und nichts sehen will und dass eben auch nicht genauer untersuchen möchte", so Mihalic im Bayerischen Rundfunk.
Wissenschaftler: Seehofer verhindert, dass es überhaupt Forschung gibt
Polizeiwissenschaftler Rafael Behr sagte, eine Untersuchung wäre in jedem Fall angezeigt gewesen, "schon um zu zeigen, dass die Polizei sich bemüht, hier Bewusstsein zu schaffen". Behr ist Professor für Polizeiwissenschaften am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg und war früher Polizeibeamter in Hessen.
Den Minister kritisierte Behr auch persönlich scharf: "Wenn es keine Daten über Racial Profiling gibt, dann frage ich mich, woher weiß er denn, dass es Einzelfälle sind." Seehofer habe auf höchster Ebene verhindert, dass überhaupt Forschung geschieht, sagte Behr im WDR.
Justizministerin will an Studie festhalten
Ähnlich sieht man das bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. "Der Bundesinnenminister vergibt damit eine wichtige Chance, entsprechende Fälle in der Polizei auszuwerten und Grundlagenforschung zu betreiben", erklärte deren kommissarische Leiter Bernhard Franke.
Und Kritik an Seehofers Haltung kommt auch vom SPD-geführten Bundesjustizministerium. Ministerin Christine Lambrecht will an der geplanten Studie festhalten. Es gehe nicht darum, jemanden unter Generalverdacht zu stellen, sondern darum, "einfach den Sachstand zu ermitteln und zu wissen, wo wir stehen und wie wir auch gegensteuern können", so die SPD-Politikerin. Zuständig für die Studie ist allerdings nicht das Justiz-, sondern Seehofers Innenministerium.
"Warum sollten wir Angst vor Wissenschaftlern haben?"
Auch der BDK-Chef betont den Wert der Forschung. "Ich verstehe die Debatte insoweit auch gar nicht, weil ich nicht weiß, warum wir Angst vor Wissenschaftlern haben sollten", sagte Fiedler in dem tagesthemen-Interview weiter. Man kenne Fälle von Rassismus bei der Polizei, die in der Diskussion seien, aber man wisse nicht, wie viele Fälle es tatsächlich gebe. "Substanz in die Diskussion bekommt man am besten, wenn man unabhängige Wissenschaftler damit betraut."
Horst Seehofer, Bundesinnenminister, erklärt seine Ablehnung gegenüber einer Polizei-Überprüfung
Morgenmagazin, 07.07.2020
Seehofer: "Wir haben kein strukturelles Problem"
Seehofer selbst zeigt sich von der massiven Kritik allerdings unbeeindruckt und will die Studie auch weiterhin nicht in Auftrag geben. "Wir können nicht jede Woche ein Wünsch-Dir-was spielen", sagte er im ARD-Morgenmagazin. Zunächst müssten die zwischen Bund und Ländern abgestimmten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus umgesetzt werden. "Dann kann man weiterdenken, welche weiteren Maßnahmen sind erforderlich."
Zugleich beklagte Seehofer, es gebe ständige Kritik an der Polizei, "zum Teil auch Verunglimpfung". Dabei werde übersehen, dass im Öffentlichen Dienst "Null Toleranz" gelte und Rassismus entschieden bekämpft werde. Der CSU-Politiker zeigte sich auch ohne wissenschaftliche Untersuchung überzeugt: "Wir haben kein strukturelles Problem diesbezüglich."
Kein "Wünsch Dir was": Seehofer verteidigt sich gegen Kritik zu Rassismus-Studie
Angela Ulrich, ARD Berlin
07.07.2020 09:33 Uhr
Audio
Aus dem Archiv
Weitere Meldungen aus dem Archiv vom 07.07.2020
- Alle Meldungen vom 07.07.2020 zeigen