
Umstrittene Thüringen-Wahl Ein "Sündenfall" für FDP und CDU
Stand: 06.02.2020 07:12 Uhr
Die Thüringer FDP und CDU haben das Taktieren der AfD unterschätzt, sagt Politikwissenschaftler Florack. Die Wahl Kemmerichs mache aber auch deutlich, dass im Osten eigene politische Regeln gelten.
Von einem "politischen Beben" ist nach der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten in Thüringen die Rede - denn sein Sprung an die Regierungsspitze des Bundeslandes gelang nur durch Stimmen der CDU und der AfD. Doch eine große Überraschung war die Wahl für den Politikwissenschaftler Martin Florack von der Universität Duisburg-Essen nicht.
"Es hat sich angedeutet, dass da was im Busch ist", sagte Florack im ARD-Morgenmagazin. Schon die Ankündigung der FDP, in einem dritten Wahlgang einen eigenen Kandidaten aufzustellen und der fehlende Widerspruch der CDU seien Zeichen gewesen, dass es im Vorfeld Gespräche gegeben habe.
Politikwissenschaftler Martin Florack erläutert die politischen Folgen der Wahl
Morgenmagazin, 06.02.2020
Jeder hat taktiert: FDP, CDU und AfD
Sowohl die FDP als auch die CDU hätten taktiert, sagt Florack weiter - ebenso wie die AfD. "Wenn man mildernde Umstände walten lassen will", so der Politikwissenschaftler, könne man sagen, die Liberalen und die Christdemokraten hätten das Taktieren der AfD unterschätzt. Es sei schon "kurios", dass die AfD im dritten Wahlgang dem eigenen Kandidaten keine einzige Stimme mehr gegeben habe. Die Thüringer AfD hatte in den ersten beiden Abstimmungsrunden den parteilosen Christoph Kindervater unterstützt.
Doch damit enden aus Sicht Floracks die mildernden Umstände auch schon: "Denn die AfD ist immer bereit, jede Regel zu verletzten, um den eigenen Erfolg nach vorne zu schieben." Dies sei von FDP und CDU "billigend in Kauf genommen worden". Für beide Parteien sei das "ein Sündenfall", denn "sich von rechtsextremen Parteien abzugrenzen", gehöre eigentlich auf ihre politische Linie.
Die Wahl in Erfurt zeige zudem, "dass im Osten teils andere politische Regeln herrschen", sagte Florack weiter. Die heftigen Reaktionen der Parteien auf Bundesebene "interessieren in Thüringen keinen", "die Landesverbände tun und lassen, was sie wollen".
Richtungsstreit der Parteien auf "offene Bühne" gehoben
Auch der Richtungsstreit innerhalb der CDU und auch der FDP werde mit der Wahl "auf offener Bühne" deutlich, so Florack. Auf der einen Seite stehe das Ziel, die Parteibeschlüsse einzuhalten - und damit eine klare Abgrenzung zur AfD. "Doch in beiden Parteien gibt es Strömungen, die sich einen anderen Kurs wünschen und das mit der AfD anders sehen."
"Einen einzigen Vorteil" sieht Florack in der Wahl Kemmerichs aber doch: Mit einem regulär gewählten Ministerpräsidenten sei Thüringen "im Normalbetrieb des Parlamentarismus angekommen". Der neue Regierungschef könne andere Instrumente nutzen als ein geschäftsführender Ministerpräsident: Er könne etwa die Vertrauensfrage stellen und habe so die Möglichkeit, die Regierung schnell wieder zu beenden und gar nicht erst ins Amt kommen zu lassen.
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