
Corona-Ausbruch bei Tönnies Laschet erwägt regionalen Lockdown
Stand: 17.08.2020 11:04 Uhr
NRW-Ministerpräsident Laschet hat in Bezug auf den Corona-Ausbruch in einem Tonnies-Schlachthof von einem "nie dagewesenen Infektionsgeschehen" gesprochen. Inzwischen müssen alle Mitarbeiter in Quarantäne - auch der Chef.
Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) schließt nach dem massiven Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies mit Hunderten Infizierten einen regionalen Lockdown nicht mehr aus. Das Infektionsgeschehen könne noch lokalisiert werden. "Sollte sich dies ändern, kann auch ein flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden", sagte Laschet in Düsseldorf. Er sprach von einem massiven Ausbruchsgeschehen: "Das größte, bisher nie dagewesene Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen."
Sämtliche Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück müssen nun in Quarantäne. Das betreffe auch die Verwaltung, das Management und die Konzernspitze, teilte der Kreis Gütersloh mit. Auch sämtliche "Haushaltsangehörige" der Beschäftigten seien unter Quarantäne. Einige Mitarbeiter können den Angaben nach in sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt, dass sie sich nur zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen. Das gilt auch für Clemens Tönnies, Gesellschafter von Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies, wie ein Konzernsprecher der Nachrichtenagentur dpa sagte.
"Wir werden alles unternehmen, um einen weitreichenden Lockdown im Kreis Gütersloh zu verhindern. Leider müssen wir feststellen, dass die für das Personal in den Produktionsbereichen am 16. Juni erlassenen Quarantänen nicht von allen eingehalten wurden", sagte Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) laut Mitteilung. Die Überprüfung der Quarantäne werde mit den örtlichen Ordnungsbehörden und mit weiteren auswärtigen Kräften deutlich verstärkt.
Nach Auftreten des Virus in dem Tönnies-Werk ist im Kreis Gütersloh bereits das Schließen von Schulen und Kitas angeordnet worden. Einen Lockdown will der Kreis nach bisherigen Angaben aber mit diesen und weiteren Maßnahmen abwenden. Nach Angaben des Kreises wurden mittlerweile 3500 Tests bei der Firma Tönnies vorgenommen. Am Freitag seien allein 1450 Mitarbeiter getestet worden, berichtete der Kreis am späten Nachmittag. Bislang wurden insgesamt 803 Infizierte registriert. 463 Testergebnisse waren negativ. Die restlichen Befunde stehen noch aus. Bei den angeordneten Massentests hilft jetzt die Bundeswehr aus.
Mitarbeiter wohnen weit verstreut
Laschet sieht ein großes Problem in der breiten Streuung der Wohnorte der Tönnies-Beschäftigten. Der Ministerpräsident sprach von einer schwierigen Lage, weil die Mitarbeiter des Schlachtbetriebs neben dem Kreis Gütersloh auch in Warendorf, Soest, Bielefeld, Hamm und anderen Orten lebten. Diese Streuung berge eine enorme Pandemiegefahr. Das NRW-Landeskabinett will sich am Sonntag in einer Sondersitzung mit dem Corona-Ausbruch bei Tönnies beschäftigen. Dort werde die Landesregierung die Lage erneut bewerten, sagte Laschet.
Reihentest nach neuer Verordnung
Die Reihentests beruhen auf einer neuen Verordnung, nach der Tests auch ohne Symptome auf Kassenkosten möglich sind. Das Robert Koch-Institut hat Kontakt mit dem Gesundheitsamt vor Ort. Insgesamt müssen rund 7000 Mitarbeiter auf das Virus getestet werden.
Laschet zollte den Eltern und Kindern Respekt, die wegen des Corona-Ausbruchs bei Tönnies nun wieder mit geschlossenen Schulen und Kitas konfrontiert sind. Ausgerechnet sie seien die ersten, die von den Maßnahmen der Behörden betroffen seien, sagte der NRW-Ministerpräsident. "Ich kann das sehr nachvollziehen, nachempfinden, was das für ein Kind bedeutet, das monatelang nicht in der Kita und in der Schule war, das dann wieder hindarf, und das nun ein Opfer dieses Vorgangs ist. Das ist einem Kind sehr schwer zu erklären", sagte er.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Mehrere Strafanzeigen gegen Tönnies sind bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld eingegangen. Sie ermittelt jetzt - vorerst gegen Unbekannt. Die Vorwürfe sind unter anderem Körperverletzung und Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz.
Unterdessen ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung und Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz. Laut Oberstaatsanwalt Martin Temmen liegen fünf Strafanzeigen vor, die Anlass für das Ermittlungsverfahren geben. Das Verfahren richte sich zunächst gegen Unbekannt.
Unter anderen erstattete die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, Strafanzeige gegen die Fleischfabrik. Haßelmann sagte der Nachrichtenagentur epd, der große Ausbruch bei Tönnies lasse "sich nur durch eine massive Nicht-Einhaltung von Arbeitsschutzstandards, Arbeitsbedingungen sowie einer unverantwortlichen Wohn-, Unterbringungs- und Transportsituation" erklären. Haßelmann hat in Bielefeld und im benachbarten Kreis Gütersloh ihren Wahlkreis. Vor dem Werk kam es zu Protesten von Tierrechtsorganisationen und Anwohnern.
Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Tönnies
tagesschau 16:00 Uhr, 19.06.2020, Sahra Schmidt, WDR
Bundesregierung verspricht schnelles Handeln
Die Bundesregierung will sich nach dem massiven Ausbruch in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb auch mit den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie befassen.
"Der Minister weiß um die Dringlichkeit", sagte eine Sprecherin von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zum geplanten Verbot von Werkverträgen in der Branche im Gespräch mit tagesschau.de. "Wir arbeiten mit Hochdruck an einem Gesetzentwurf, der im Sommer vorliegen soll." Es werde derzeit geprüft, ob sich das Datum vorziehen lasse. "Aber wir wissen auch, was dranhängt."
Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister, über Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
ARD extra: Die Corona-Lage, 18.06.2020
Denn der Gesetzentwurf muss gerichtsfest sein. Außerdem umfasst er weitere Punkte, wie zum Beispiel die elektronische Arbeitszeiterfassung. Das Kabinett hatte Ende Mai zunächst Eckpunkte beschlossen.
In der ARD sagte Heil, die Branche müsse Verantwortung übernehmen "für anständige und menschenwürdige Arbeitsbedingungen". In der Tönnies-Fabrik Rheda-Wiedenbrück sei zu erleben, was passiere, "wenn mit Arbeitnehmern aus Mittel- und Osteuropa bei uns nicht fair umgegangen wird".
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