
Weltraumschrott Rasende Gefahr im All
Stand: 19.03.2019 16:10 Uhr
23.000 große Trümmerteile von ausgebrannten Raketen oder ausgedienten Satelliten rasen um die Erde, Tendenz steigend. Was tun gegen den Weltraumschrott? Darum geht es bei der ESA.
Von Sebastian Kisters, HR
Bloß nicht wieder so ein Ereignis wie 2016. Oder schlimmer noch: wie 2009. Die Kollisionen in diesen Jahren verschaffen Holger Krag noch heute mehr Arbeit, als ihm lieb ist. Krag beobachtet für die Europäische Raumfahrtagentur ESA das All. Er schaut nicht in die Sterne. Er schaut nach Schrott.
Über seinem Arbeitsplatz hängt ein Monitor. Darauf zu sehen: Die Erde und für den Beobachter unzählbar viele weiße Punkte. Krag hat die passende Zahl dazu: 23.000. So viele Trümmerteile rasen um die Erde. Und das sind nur die, die mindestens so groß sind wie ein Fußball. Hunderttausende kleinere Teile kommen hinzu.
Immer wieder müssen ESA-Experten Befehle hinauf ins All schicken. Satelliten weichen dann den heranschießenden Trümmerteilen aus. Auch die Internationale Raumstation war schon mehrfach betroffen. Zum Glück nicht getroffen.
Satelliten alt und nicht mehr steuerbar
Würde ein Ausweichmanöver scheitern, müsste die Besatzung in eine Rettungskapsel flüchten. "Sowohl die Internationale Raumstation als auch unsere ESA Satelliten schicken wir regelmäßig auf Ausweichmanöver. Das ist schon Bestandteil des normalen Betriebs. Bei uns passiert das mittlerweile etwa alle zwei Wochen", berichtet Krag.
Rund 5000 Satelliten umkreisen derzeit die Erde. Ohne sie gäbe es kein Navigationsgerät im Auto, keine Wettervorhersage, kein Fernsehen. Doch ein Großteil der Satelliten ist alt und nicht mehr steuerbar. Immer wieder kommt es zu Kollisionen. Und dabei entsteht gefährlicher Schrott im All. Es wird immer mehr.
Eine Kollision 2009 sei "dramatisch" gewesen, so Krag: Es passierte 800 Kilometer über der Erde. "Da ist ein funktionsfähiger Satellit von einem nicht mehr funktionsfähigen getroffen worden. Allein aus diesem Ereignis sind mehr als 2000 Trümmerstücke entstanden, die man vom Boden aus verfolgen kann. Und dieses Ereignis ist in unmittelbarer Nähe zu unserer Satellitenflotte aufgetreten", sagt er. "Die Trümmerteile werden über Jahrzehnte im All bleiben und jedes zweite Ausweichmanöver, das wir hier betreiben, geht auf eines dieser Trümmerstücke zurück."
ESA will das Problem des Weltraumschrotts angehen
tagesschau 17:00 Uhr, 19.03.2019, Sebastian Kisters, HR
Nicht bis zum bitteren Ende kreisen lassen
2016 wurde zuletzt das Sonnensegel eines ESA-Satelliten von herumfliegenden Trümmerteilen zerfetzt. Die sind mit einer Geschwindigkeit von etwa 40.000 km/h unterwegs. Ein Teilchen mit einem Durchmesser von einem Zentimeter kann beim Aufprall die Sprengkraft einer Handgranate entwickeln.
Heute beginnt eine Konferenz der Weltraumnationen bei der ESA in Darmstadt. Die Europäer möchten, dass Betreiber ihre Satelliten nicht bis zum bitteren Ende auf ihrer Umlaufbahn lassen, sondern Resttreibstoff verwenden, um die Satelliten gezielt Richtung Erde stürzen zu lassen, auf dass sie in der Atmosphäre verglühen. Das hieße: Sie müssten auf einen Teil des Umsatzes verzichten.
Das Problem drängt. "Die Raumfahrt nimmt an Dynamik zu. Früher hatten wir 100 Satellitenstarts pro Jahr. Jetzt sind es mehrere Hundert, die in einem Jahr in den Orbit geschossen werden", sagt Krag.
Gemeinsamer Fonds für Aufräumarbeiten?
In Darmstadt beschäftigen sich auch Juristen mit dem Weltraumschrott. Alexander Soucek ist Experte der ESA. Er sagt, das Thema könne man mit Diskussionen rund um den Umweltschutz auf Erden vergleichen. Alle würden profitieren, aber wer will den Anfang machen?
Nationen, die gerade erst das All entdecken, würden zunächst auf die USA und Russland zeigen. Diese beiden seien für die meisten ausgedienten Satelliten verantwortlich. Und natürlich explodierte oder ausgebrannte Raketenteile.
Diskutiert wird über einen gemeinsamen Fonds, um Aufräumarbeiten im All zu finanzieren. "Es gibt verschiedene Ansätze. Das Wichtigste ist zunächst, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es ein Problem gibt. Wenn wir heute nicht handeln, werden künftige Generationen ein Problem haben, in den Weltraum zu fliegen. Sogar schon wir selbst", sagt Soucek. "Durch den Einschlag eines Schrottteils in einen Satelliten könnte sich auch auf der Erde das Leben verkomplizieren, wenn technische Infrastruktur aus dem All außer Gefecht gesetzt wird."
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