
Wann gilt Gnade vor Recht? Steinmeier schweigt zu Begnadigungen
Stand: 18.08.2020 04:20 Uhr
US-Präsident Trump prüft eine Begnadigung von Whistleblower Snowden. In Deutschland sind solche Akte wenig transparent - ob Bundespräsident Steinmeier schon jemanden begnadigt hat, bleibt geheim.
Von Florian Flade, WDR und Dominik Lauck, tagesschau.de
Donald Trump hat am Wochenende das Thema Begnadigung wieder in den Blickpunkt gerückt. Der US-Präsident erwägt, den Geheimdienst-Whistleblower Edward Snowden zu begnadigen. "Ich werde mir das ansehen", sagte Trump während einer Pressekonferenz. Er sei allerdings nicht sehr vertraut mit dem Fall. "Manche Leute denken, er sollte anders behandelt werden, andere denken, er hat sehr schlimme Dinge getan", so der US-Präsident.
Bundespräsident hält sich bedeckt
Begnadigungen sind oft umstritten, werden aber unterschiedlich transparent vollzogen. In Deutschland, wo der Bundespräsident und in den Ländern die Ministerpräsidenten das Begnadigungsrecht besitzen, werden beispielsweise zur Gnadenpraxis von Frank-Walter Steinmeier gar keine Angaben gemacht - "aus Gründen des Datenschutzes", wie ein Sprecher des Bundespräsidialamtes auf Anfrage mitteilte.
Es bleibt also geheim, wie viele Gnadengesuche insgesamt an den Bundespräsidenten gestellt werden und wie er in den einzelnen Fällen entschieden hat. Lediglich die Summe der Begnadigungen und Ablehnungen wird zusammengefasst mitgeteilt - und auch nur bei früheren Bundespräsidenten. "Nähere Angaben veröffentlicht das Bundespräsidialamt nicht", so ein Sprecher.
Scheel traf die meisten Gnadenentscheidungen
Statistisch erfasst sind die Gnadenentscheidungen erst seit der Amtszeit von Walter Scheel. Der hatte in seinen fünf Jahren als Staatsoberhaupt (1974 bis 1979) am häufigsten über "Gnade vor Recht" entschieden. Denn nichts anderes ist eine Begnadigung - ein Staatsakt, der nicht auf dem herkömmlichen Verständnis von Recht, sondern eben auf Gnade im Sinne von Wohlwollen beruht.
Insgesamt 301 Entscheidungen hat Scheel gefällt - davon "289 Entscheidungen in beamten- und soldatenrechtlichen Gnadenangelegenheiten" und zwölf "Strafgnadenentscheidungen". Nahezu ebenso viele Fälle beschäftigten Richard von Weizsäcker, dessen 296 Begnadigungsentscheidungen sich jedoch auf zehn Amtsjahre (1984 bis 1994) verteilen. Sein Vorgänger Karl Carstens entschied über 192 Gnadengesuche in nur fünf Jahren (1979 bis 1984).
Mit Amtsantritt von Roman Herzog gingen die Gnadenakte deutlich zurück. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts entschied über 111 Begnadigungen (194 bis 1999), Johannes Rau nur noch über 56 (1999 bis 2004) und Horst Köhler über 28 (2004 bis 2010). Die wenigsten Begnadigungsfälle (elf) gab es in den fünf Jahren, als Joachim Gauck im Schloss Bellevue das Sagen hatte (2012 bis 2017).
Unterschiedlicher Umgang mit RAF-Terroristen
Wer da im einzelnen begnadigt wurde, ist meist nicht bekannt. Denn grundsätzlich werden in Deutschland die Fälle nicht öffentlich gemacht. Bei einigen sehr prominenten Häftlingen wurde es dennoch publik - etwa bei den Terroristinnen und Terroristen sowie Unterstützern der Roten Armee Fraktion (RAF).
So kamen die RAF-Häftlinge Bernd Rössner, Verena Becker, Monika Speitel, Helmut Pohl, Rolf Clemens Wagner und Adelheid Schulz durch Gnadenentscheidungen der Bundespräsidenten Herzog, von Weizsäcker und Rau frei. Mehrere Gnadengesuche von RAF-Angehörigen wurden allerdings auch abgelehnt. Köhler beispielsweise begnadigte Christian Klar und Birgit Hogefeld nicht - beide sind zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Selbst ein US-Präsident wurde schon begnadigt
Mit einer Begnadigung wird in Deutschland eine rechtskräftige Entscheidung - etwa ein Straf- oder Disziplinarurteil - beseitigt oder gemildert. Das Gnadenrecht hat laut Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages die Aufgabe, "Härten und Unbilligkeiten von strafgesetzlichen Entscheidungen auszugleichen". Die Entscheidung ändert nichts an einem strafgerichtlichen Schuldspruch - sie kann nur die festgesetzte Strafe oder Nebenstrafe aufheben, umwandeln oder deren Vollstreckung teilweise oder ganz aufheben.
In den USA können Begnadigungen bereits vor erfolgter Verurteilung ausgesprochen werden. Davon profitierte etwa Richard Nixon nach seinem Rücktritt vom Präsidentenamt 1974 im Zuge der Watergate-Affäre. Sein Nachfolger Gerald Ford, der von ihm kurz zuvor erst zum Vizepräsidenten gemacht worden war, erteilte Nixon eine generelle Begnadigung für jegliches im Amt begangene Vergehen.
Obama lehnte Snowden-Begnadigung ab
Bill Clinton begnadigte an seinem letzten Tag als US-Präsident gleich 140 Personen, darunter seinen Halbbruder Roger und seine ehemalige Mitarbeiterin Susan McDougal. Auch Trump hat von seinem außerordentlichen Begnadigungsrecht schon mehrere Male Gebrauch gemacht und so unter anderem seinen Ex-Berater Roger Stone vor einer Haftstrafe bewahrt.
Trumps Vorgänger Barack Obama hatte eine Begnadigung Snowdens abgelehnt. "Ich kann niemanden begnadigen, der nicht von einem Gericht verurteilt wurde", sagte Obama 2016 in einem Interview mit der ARD und dem "Spiegel". Allerdings haben durchaus schon US-Präsidenten Personen begnadigt, die wegen der ihnen vorgeworfenen Taten nicht vor Gericht standen.
Snowden, ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, hatte im Jahr 2013 die Überwachungspraktiken amerikanischer Geheimdienste enthüllt. Er ließ Journalisten umfangreiches Material über Internet- und Telekommunikationsüberwachung zukommen und wurde daraufhin in den USA wegen Geheimnisverrats angeklagt. Derzeit soll sich Snowden in Russland aufhalten, wo er Asyl erhalten hat.
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