
Coronavirus Ärzte hebeln Maskenpflicht aus
Stand: 07.07.2020 12:38 Uhr
Bundesweit stellt eine Initiative von Ärztinnen und Ärzten nach Recherchen von Report Mainz Atteste gegen die Maskenpflicht aus - auch ohne Untersuchung. Nach Einschätzung von Experten könnte dies strafrechtlich verfolgt werden.
Von Judith Brosel, Pascal Siggelkow und Christian Saathoff
Im Internet spricht sich die Initiative "Ärzte für Aufklärung" dafür aus, "großzügig" Atteste gegen die Maskenpflicht auszustellen. Führende Köpfe der Initiative vermuten hinter den Maßnahmen zur Einschränkung von Covid-19 eine große Verschwörung - in Videos stufen sie das Virus als nicht besonders gefährlich und eine Maske daher als nicht notwendig ein. Vielmehr noch: Eine Maske rufe bei vielen Menschen gar erst Unwohlsein hervor. Report Mainz gegenüber wollte sich die Initiative nicht äußern. Etwa 2000 Unterstützer haben die "Ärzte für Aufklärung" nach eigenen Angaben, darunter Hunderte Ärzte, namentlich dokumentiert auf ihrer Website.
Recherchen von Report Mainz belegen, dass es sich bei vielen der Unterstützer tatsächlich um Ärzte handelt. Ebenfalls oft vertreten sind Menschen, die nicht-schulmedizinische Praxen betreiben. Auffällig ist: Bereits auf den Praxiswebseiten lassen sich bei einigen von ihnen deutliche Aversionen gegen die bestehenden Corona-Vorschriften finden.
Private Ansichten nicht mit Arztberuf vermengen
"Als Ärzte wissen wir, wie sehr Masken schützen - Chirurgen zum Beispiel aus dem OP", sagt der Bundestagsabgeordnete und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dazu, der selbst Arzt ist. Aus seiner Sicht vertreten diese Ärzte wohl eher "ideologische Positionen", zum Beispiel, dass die Bekämpfung der Pandemie zu streng erfolgt sei. "Das kann man aus meiner Sicht durchaus privat denken." Mit seiner Berufsausübung dürfe ein Arzt das aber nicht vermengen.
Report Mainz schrieb mehr als 40 dieser Ärzte stichprobenartig an und fragte nach einem Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht - nicht aus medizinischen Gründen, sondern wegen persönlicher Abneigung der Maskenpflicht als Corona-Maßnahme.
19 der angeschriebenen Ärzte antworteten auf die verdeckte Anfrage, keiner von ihnen wies das Ausstellen eines solchen Attests aus ethischen Gründen zurück. Einige schrieben direkt, dass man bei ihnen so ein Attest bekommen könne.
50 Euro für ein Attest
Bei Ärzten aus vier verschiedenen Bundesländern fragten Reporter von Report Mainz vor Ort an und erhielten allein aufgrund der vermeintlichen Ablehnung der Maskenpflicht ein Attest zur Befreiung von eben dieser. Dabei sprachen zwei Ärzte nicht einmal mit den vermeintlichen Patienten, geschweige denn untersuchten sie sie. Ein weiterer Arzt bot per E-Mail an, nach einer Überweisung von 50 Euro das Attest per E-Mail zu schicken. Die Diagnose solle der Patient ihm selbst vorab schriftlich mitteilen.
Für den Test traten die Reporter in den Praxen als normale Patienten auf, im Anschluss gaben sie sich als Journalisten zu erkennen. Auf die Bitte nach einer Stellungnahme reagierten die betroffenen Ärzte unterschiedlich: So hieß es einmal, es habe eine Verwechslung mit einem anderen Patienten vorgelegen, andere Ärzte verteidigten die Entscheidung als aus ihrer Sicht medizinisch gerechtfertigt.
SPD-Politiker Karl Lauterbach hält das Ausstellen der Atteste ohne vorherige Untersuchung der Patienten für äußerst verwerflich. Aus seiner Sicht wird hier die in den Bundesländern gesetzlich vorgeschriebene Maskenpflicht durch lapidare Atteste unterlaufen: "Das ist nichts anderes als dass man die medizinische, die ärztliche Autorität missbraucht, um ein Gesetz auszuhebeln." Als Schutz vor der Pandemie sei dieses Gesetz aber "unbedingt" notwendig.
Rechtsexperte: Vorgehen möglicherweise strafrechtlich relevant
Hinzu kommt: Das Ausstellen von Attesten ohne Untersuchung ist laut Bundesgesundheitsministerium grundsätzlich unzulässig. Dem Fachanwalt für Medizinrecht und Professor an der Psychologischen Hochschule Berlin Martin Stellpflug zufolge kann "das unrichtige Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen" darüber hinaus nicht nur berufsrechtlich, sondern auch strafrechtlich relevant werden - als Verstoß gegen § 278 im Strafgesetzbuch, der das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse verbietet.
Auch die gesundheitlichen Folgen solcher Atteste würden schwerwiegen: Durch das bewusste Umgehen der Maskenpflicht nähmen die Ärzte eine Verbreitung des Corona-Virus bereitwillig in Kauf, sagt Lauterbach. Denn wenn ein Patient sich aufgrund dieses Attests unvorsichtig verhalte und damit sich selbst oder andere anstecke, könnten er oder andere deswegen im schlimmsten Fall sogar sterben. "Das ist eine Verantwortung, die wir nicht tragen können als Ärzte." Es gehe also in der Folge noch um viel mehr, als jemandem durch eine falsche Diagnose die Möglichkeit zu geben, ein Gesetz zu brechen. Die Einschätzung des SPD-Politikers ist deutlich: "Ehrlich gesagt, das ist kriminell."
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