Kommentar
Johnson in Brüssel Johnson kann sich die Brüssel-Fahrt sparen
Stand: 09.12.2020 13:22 Uhr
Die EU kann sich auf den Brexit-Wunschzettel des britischen Premiers nicht einlassen. Sie wird keine falschen Kompromisse machen. Dass sie bis zuletzt über Fischerei weiterverhandelt, hat dennoch sein Gutes.
Ein Kommentar von Ralph Sina, ARD-Studio Brüssel
Der britische Premier kann sich die Fahrt nach Brüssel gleich sparen - jedenfalls wenn Boris Johnson glaubt, mit seinem rauen Charme Kommissionspräsidentin von der Leyen in Sachen Brexit-Umsetzung um den Finger wickeln zu können. Das wird ihm nicht gelingen.
Und auch die 27 Staats-und Regierungschefs, die sich ab morgen in Brüssel zum EU-Gipfel versammeln, sind Johnson-resistent, wenn es um den britischen Wunsch, geht mal kurzerhand das EU-Verhandlungsmandat für Chefunterhändler Michel Barnier zu verändern, damit in Zukunft das Vereinigte Königreich nach eigenen britischen Spielregeln auf dem europäischen Binnenmarkt aufspielen kann.
Über Verbraucherschutz kann die EU nicht weiterverhandeln
Chlorhühnchen und Hormonrindfleisch aus den USA könnten dann via Großbritannien in den Tiefkühltruhen der EU-Supermärkte landen. Und wenn die Regierung in London auf die Idee käme, den in Großbritannien erfundenen beutellosen Staubsauger zu subventionieren, um die EU-Konkurrenten das Fürchten zu lehren, wäre die Idee eines fairen Binnenmarktes von den Briten endgültig pervertiert.
Nein, die EU kann sich auf Johnsons weihnachtlichen Brexit-Wunsch-Zettel nicht einlassen. Brüssel bleibt nur noch die klare Ansage: Über die EU-Fischquoten in britischen Hoheitsgewässern kann man gerne noch ein paar Stunden verhandeln. Aber über das Eingemachte des EU-Binnenmarktes nicht eine Sekunde. Denn Verbraucherschutz und fairer Wettbewerb sind alternativlos.
Nur nicht den schwarzen Brexit-Peter kassieren
Hering, Makrele und Kabeljau sind eine Steilvorlage für die Europäer, ihre Kompromissbereitschaft zu demonstrieren. Ein unverfänglicheres Verhandlungsthema kann es gar nicht geben als die ökonomisch nicht sonderlich relevante Fischerei. Zumal auch dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron klar ist, dass er die Forderungen der bretonischen Fischer nicht zu einhundert Prozent durchsetzen kann.
Die Fischerei gibt den Europäern die Chance, über ein Randthema zur Not bis zum Jahresende weiterzuverhandeln, die Gespräche nicht abzubrechen und nicht den schwarzen Peter zu kassieren - ohne in der Substanz des EU Binnenmarktes falsche Kompromisse zu machen.
Wenn Johnson nicht bereit ist, sich zum Fair Play auf dem Binnenmarkt zu verpflichten und wenn er es ablehnt, im Streitfall einen Schiedsrichter mit Roter Karte zu akzeptieren, kann er sich die Fahrt nach Brüssel gleich sparen.
Kommentar: Johnson kann sich die Fahrt nach Brüssel sparen
Ralph Sina, ARD Brüssel
09.12.2020 10:45 Uhr
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