
Zum Tod von Ennio Morricone Musik, die Bilder auf eine andere Ebene hebt
Stand: 06.07.2020 11:59 Uhr
Filmmusik hat ihn berühmt gemacht: Neben Western-Soundtracks wie "Spiel mir das Lied vom Tod" komponierte Ennio Morricone Hunderte weitere Titel - Collagen verschiedener Stile, eingängig und tiefgründig.
Von Lisa Weiß, ARD-Studio Rom
Die endlose Weite der amerikanischen Prärie, ein namenloser Mann, ein Schurke mit stahlblauen Augen und rauchende Colts - wer die Musik von Ennio Morricone hört, ist sofort im Wilden Westen, in Sergio Leones Film "Spiel mir das Lied vom Tod". Die Cowboys sind schweigsame Gestalten, streckenweise fällt im Film minutenlang kein Wort - ohne Morricones Filmmusik wäre der Western kaum denkbar.
Wie auch bei vielen anderen seiner Werke verschmelzen Bilder und Musik, fast immer sind die Themen reich an ungewöhnlichen Tönen wie Kojoten-Geheul, Schreie oder auch mal Schreibmaschinengeklapper.
"Ich benutze das Klavier nicht"
All das entstehe in seinem Kopf, sagte Morricone: "Ich denke nach - ich benutze das Klavier nicht. Ich denke nach und sitze am Schreibtisch und schreibe. Das Klavier benutze ich nur, um dem Regisseur vorzuspielen, was ich geschrieben habe. Manchmal auch für eine Kontrolle in einem Moment der Krise."
Morricone war Perfektionist, und: Er dachte in Tönen. Wenn er von seiner Kindheit im römischen Stadtteil Trastevere erzählte, sprach er von den Geräuschen des Sägewerks in der Nachbarschaft. Schon früh hatte er Melodien im Kopf.
"Mir kommt es schwer über die Lippen zu sagen, dass ich mit sechs Jahren angefangen habe, zu komponieren. Aber im Endeffekt war es so. Mein Vater hatte mir den Violinschlüssel beigebracht. Wir waren im Urlaub, und ich begann Dinge zu schreiben. Große Dummheiten. Ich erinnere mich, dass es Jagden waren - Jagden, wie ich sie auf den Schallplatten oder im Radio hörte."
Komponist und Oscar-Preisträger Ennio Morricone gestorben
tagesthemen 22:20 Uhr, 06.07.2020, Ellen Trapp, ARD Rom
Vom Trompetenspiel zur Filmmusik
Zur Musik gebracht hatte ihn sein Vater, sagte Morricone selbst. Dieser spielte sehr gut Trompete, unter anderem an der römischen Oper, später als selbstständiger Musiker. Und so begann auch der junge Ennio mit dem Trompetenspiel.
Er musste bald seinen Vater unterstützen, sagt Musikwissenschaftler Sergio Meceli: "Der Vater spielte in Nachtlokalen Trompete. Die Familie lebte, glaube ich, nur davon. Als der Vater einmal erkrankte, musste Ennio, noch ein Junge, ihn vertreten und an seiner Stelle auch nachts spielen."
In Nachtlokalen gastiert, Schlager arrangiert
Ennio Morricone studierte dann am renommierten Conservatorio di Santa Cecilia Trompete, Komposition und Orchestrierung. Während des Studiums spielte Morricone weiter Trompete in Nachtlokalen, arrangierte Schlager, und begann für Radio und Fernsehen zu arbeiten.
Anfang der 1960er-Jahre schrieb er zum ersten Mal den Soundtrack für einen Film. Bald schon folgte die Zusammenarbeit mit Sergio Leone. Der Regisseur und Morricone waren schon gemeinsam zur Schule gegangen.
Leone und Morricone - untrennbar verbunden
Morricones Musik trägt die Bilder von Leones Western auf eine andere Ebene. Die beiden verstanden offenbar intuitiv die Absichten des jeweils anderen. Der Regisseur gab den musikalischen Themen den Raum, den sie verdienten, ließ auch mal zu, dass ein Musikinstrument in der Handlung mitmischte. Denn Morricone schrieb selten Hintergrundmusik.
All das führt dazu, dass die Namen Sergio Leone und Ennio Morricone untrennbar verbunden sind. Leone nannte die Verbindung zwischen den beiden einmal eine Art unfreiwillige Heirat. Und Regisseur und Morricone-Fan Quentin Tarantino, der Leones Western "Für eine Handvoll Dollar" für eines der größten Autorenstücke aller Zeiten hält, sagt:
"Was den Film so großartig macht, ist, dass man immer, wenn man Sergio Leone sagt, im gleichen Atemzug auch ein Loblied auf Ennio Morricone und Clint Eastwood singen muss."
Nicht auf Westernmusik reduzieren
Doch wenn man Ennio Morricone auf Western-Soundtracks reduziert, tut man ihm Unrecht. Er selbst betonte immer wieder: "Ich habe das mal berechnet. Nur 30 Filme von allen denen, für die ich gearbeitet habe, waren Western. Und die anderen sind alles andere Filme." Zum Beispiel Bertoluccis "Novecento", Tornatores "Cinema Paradiso" oder Joffés "The Mission". Bekannt ist auch seine Musik zur Serie "Allein gegen die Mafia". Dort treffen Kirchenorgel und schroffe Geigen aufeinander.
Morricones Filmmusik ist fast immer auffällig ungewöhnlich, eine Art Collage verschiedener Stile und Epochen, gleichzeitig eingängig und tiefgründig.
Experimentelles scheint durch
Immer wieder scheint in ihr der "andere Morricone" durch, der experimentelle Musiker, der in den 1950er- und 1960er-Jahren zur italienischen Avantgarde gehörte. Er war Teil der Improvisationsgruppe Nuova Consonanza, beschäftigte sich mit der Zwölftonmusik, war beeinflusst von Luigi Nono und John Cage.
Auch in seiner Filmmusik verwendete Morricone serielle Techniken. In seinen kammermusikalischen Werken spielen sie teilweise eine wichtigere Rolle. Mit moderner Musik hatte Morricone nie Berührungsängste. 2003 erschien eine CD mit Remixen seiner Musik aus gesampeltem Material. Gleichzeitig gibt es Kompositionen, die an Kirchenmusik erinnern, wie "Vuoto di anima piena".
"Man sagt von mir, ich sei ein mystisch und sakral. Aber dieses Stück ist kein religiöses Stück. Es ist keine Kirchenmusik, meine ich. Sie kann in der Kirche gespielt werden, aber auch woanders."
Hollywood ließ ihn lange warten
Und für den vielfach preisgekrönten Morricone waren die Oscars lange ein Mysterium. Genauer gesagt: Die Frage, warum er jahrelang selbst keinen für seine Filmmusiken bekam. 1978 wurde er zum ersten Mal nominiert - und scheiterte.
Noch in fünf weiteren Jahren wurde er danach nominiert, aber nicht berücksichtigt, entsprechend schlecht war Morricone auf Hollywood zu sprechen. Bis er 2007 den Oscar für sein Lebenswerk erhielt, was Morricone sehr berührte.
Und es sollte nicht der letzte Oscar bleiben: Nach dem Oskar für sein Lebenswerk folgte 2016 endlich der lang ersehnte Oscar für die beste Filmmusik - zu Quentin Tarantinos "The Hateful Eight". Da war er schon 87.
Auch danach setzte sich der vierfache Vater und passionierte Schachspieler nicht zur Ruhe. Mit 90 ging er noch auf Abschiedstour durch halb Europa. Ennio Morricone war ein Ausnahmemusiker, ein begnadeter Komponist, der sich selten Pausen gönnte. Er sagte selbst einmal, er komponiere eben so gerne. Das sei das Einzige, was er könne.
Nachruf auf Ennio Morricone
Lisa Weiß, ARD Rom
06.07.2020 10:46 Uhr
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