
Ausgleichszahlungen für Atomausstieg Verfassungsgericht pocht auf Neuregelung
Stand: 12.11.2020 13:30 Uhr
Ein Triumph für den Energiekonzern Vattenfall, ein Dämpfer für die Bundesregierung: Die Ausgleichszahlungen für den Atomausstieg müssen komplett neu geregelt werden - das bisherige Gesetz ist verfassungswidrig.
Von Bernd Wolf, ARD-Rechtsredaktion
Das Wort "schlampig" dürfte im Beratungszimmer der Verfassungsrichter sicher mehrfach gefallen sein. Ihr Beschluss zur Vattenfall-Klage lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Verfahrensfehler der Bundesregierung
Es kommt auch nicht oft vor, dass ein Gesetzgeber ein Gesetz erlässt, und es tritt nie in Kraft, weil schlampig gearbeitet wurde.
Die Art und Weise, wie die damalige Bundesregierung den Atomausstieg umgesetzt hat, ist verfassungswidrig, und der klagende schwedische Energieversorger Vattenfall ist in seinem Grundrecht auf Eigentum verletzt. Denn: Die Entschädigungsregeln, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum beschleunigten Atomausstieg nach dem Fukushima-Gau 2011 vorgeschrieben hatte, sind nie in Kraft getreten - wegen Verfahrensfehlern der Regierung.
Entschädigungen im Atomausstiegsgesetz müssen neu geregelt werden
tagesschau 20:00 Uhr, 12.11.2020, Frank Bräutigam, SWR
Laufzeitverlängerung zurückgenommen
Karlsruhe hatte am Nikolaustag 2016 den Atomausstieg grundsätzlich für zulässig erklärt. Die Bedingung: Der Gesetzgeber müsse bis 2018 in einer Novelle des Atomgesetzes regeln, welcher Energieversorger für welche abgeschalteten AKW wieviel Entschädigung bekommt - einmal für entgangene Gewinne und zum anderen für vergebliche Investitionen.
Denn im September 2010, kurz vor Fukushima im März 2011, hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung noch eine Laufzeitverlängerung der AKW um viele Jahre beschlossen. Nach der Reaktorkatastrophe in Japan nahm sie die umstrittene Laufzeitverlängerung schnell zurück.
Unklares Gesetz
2016 erging dann das Urteil des Verfassungsgerichts mit der Auflage an den Gesetzgeber, die Kraftwerksbetreiber zu entschädigen. Diese hofften zunächst auf knapp 20 Milliarden Euro.
Die 2016 regierende Große Koalition verabschiedete ein Gesetz, machte jedoch schwerste Verfahrensfehler: Eine notwendige Erklärung der EU-Kommission wurde nicht eingeholt, die Summen waren zu unbestimmt und der Zeitpunkt des Inkrafttretens unklar. Die Politik sprach nur noch von einer kleinen einstelligen Milliardensumme.
Urteil ist Erfolg für Vattenfall
Vattenfall klagte erneut - mit Erfolg. Der Erste Senat unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth sagt: Der Gesetzgeber ist weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet, um die Grundrechtsverstöße zu beseitigen.
Vattenfall begrüßt den Verfassungsgerichtsbeschluss und darf jetzt hoffen, durch neue, verfassungskonforme gesetzliche Regelungen doch noch Geld für seine stillgelegten AKW Krümmel und Brunsbüttel zu bekommen.
In einer weiteren Klage vor dem internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington fordert Vattenfall für den 2011 verordneten Atomausstieg noch einmal Schadensersatz in Höhe von fünf Milliarden Euro.
Verfassungsgericht zum Atomausstieg: Entschädigungen müssen neu geregelt werden
Bernd Wolf, SWR
12.11.2020 11:25 Uhr
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