
Wirecard-Skandal Opposition hält Druck auf Scholz aufrecht
Stand: 30.07.2020 02:24 Uhr
Stundenlang wurde Minister Scholz im Finanzausschuss zum Wirecard-Skandal befragt. Anschließend forderte er in den tagesthemen schnelle Reformen bei der Unternehmensprüfung. Trotzdem ist ein Untersuchungsausschuss wahrscheinlich.
Von Lothar Lenz, ARD-Hauptstadtstudio
Vier Stunden dauerte die Befragung des Bundesfinanzministers, und etwa nach der Hälfte trat Hans Michelbach vor die Saaltür. Der Obmann der Union im Finanzausschuss wirkte etwas ermattet - und entfaltete vor den Journalisten einen großen Bogen Papier mit dem Organigramm des Wirecard-Konzerns: "Hier haben wir ein Finanzunternehmen mit 56 Untergesellschaften, nur eine Gesellschaft wurde von der Finanzaufsicht geprüft."
Währenddessen konnten die anderen 55 Wirecard-Töchter offenbar unbehelligt von staatlicher Aufsicht wirtschaften. Die Kontrollbehörde Bafin prüfte nur die Banktochter von Wirecard - das gesamte Dax-Unternehmen wurde als Technologiefirma betrachtet, trotz der milliardenschweren Zahlungsströme, die Wirecard lenkte.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Interview
tagesthemen 22:15 Uhr, 29.07.2020
Scholz will Blick nach vorn richten
Olaf Scholz bemühte sich in der nicht-öffentlichen Befragung offenbar sehr detailreich, zu belegen, wann sein Ministerium von den unsauberen Geschäftspraktiken bei Wirecard erfahren hat - und wie es darauf reagiert hat. Weil ein Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal für ihn als wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten der SPD zumindest nicht angenehm wäre, lenkte Scholz den Blick nach vorn - und kündigte eine schärfere staatliche Kontrolle für den Bankensektor an:
"Ich bin dafür, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, die BaFin, eine Prüfung durchführen kann gegen den Willen der Unternehmen. Dass wir Wirtschaftsprüfer häufiger wechseln lassen. Es kann nicht sein, dass teilweise über 20 Jahre lang derselbe Wirtschaftsprüfer in einem Unternehmen tätig ist."
Damit spielte Olaf Scholz den Ball zu seinem Kabinettskollegen Peter Altmaier weiter. Der Bundeswirtschaftsminister ist für die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zuständig, Bei der Ausschusssitzung gestern spielte er eher eine Nebenrolle.
Untersuchungsausschuss gefordert
Der FDP-Obmann im Finanzausschuss, Florian Toncar, war der erste, der dann das U-Wort in den Mund nahm: Untersuchungsausschuss. Nur ein solcher könne alle Akten einsehen und damit klären, was man auch im Bundeskanzleramt über die Wirecard-Geschäfte wusste. Fast schützend stellte sich FDP-Mann Toncar vor Angela Merkel, die sich auf ihrer China Reise im letzten September noch für Wirecard verwendet hatte:
"Wie kann es sein, dass man die Bundeskanzlerin in die Situation bringt, für ein solches Unternehmen in der Situation auch noch zu werben und damit auch ein Stück Reputation aufs Spiel zu setzen?"
Auch die Linke im Bundestag und die AfD sprachen sich für einen Untersuchungsausschuss aus. AfD-Obmann Kay Gottschalk sagte, die Öffentlichkeit erwarte Aufklärung:
"Den Anlegern, dem Finanzplatz Deutschland, dass so etwas nicht mehr passiert, dass Milliarden an Werten zerstört werden, das sind wir den Menschen schuldig, und deswegen geht so etwas nur ernsthaft in einem Untersuchungsausschuss."
Die Grünen zögerten noch mit der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss - für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses muss ein Viertel der Bundestagsabgeordneten stimmen. Die Entscheidung gilt als Formsache, da sich auch die Union dem Wunsch nach einem solchen Ausschuss nicht mehr verschließt.
Nach Ministerbefragung: Opposition fordert weitere Aufklärung in Wirecard-Skandal
tagesschau 12:00 Uhr, 30.07.2020, Stephan Stuchlik, ARD Berlin
Marathonsitzung zum Wirecard-Skandal - kommt der U-Ausschuss?
Lothar Lenz, ARD Berlin
30.07.2020 06:33 Uhr
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